100 Jahre Pauli-Prinzip
Als die Regeln der Quantenwelt Gestalt bekamen
Wie alt muss man sein, um in die Geschichte der Wissenschaft einzugehen? Wolfgang Ernst Pauli schaffte es mit 25. Er publizierte 1925 eine Theorie, die bis heute von Bedeutung ist und einen zentralen Baustein für das Verständnis der Welt um uns herum darstellt. Zurecht nach ihm benannt, ist das Pauli-Prinzip mehr als bloß eine abstrakte quantenmechanische Regel: Es erklärt reale Phänomene, von der Technik im Smartphone bis zur Sternphysik.
Die Zeit der großen Wissenschaftler
Wolfgang Pauli wurde am 25. April 1900 in Wien geboren und entwickelte sich zu einem der klügsten Köpfe der theoretischen Physik. Bereits mit 21 Jahren promovierte er mit Auszeichnung und wies in seiner Dissertation auf Schwächen des bis dato vorherrschenden Atom(schalen)-Modells hin [1].
Pauli agierte in einer Zeit, in der einige der bekanntesten Größen der Wissenschaft gewaltige Fortschritte erzielten. Er arbeitete zunächst als Assistent bei Max Born in Göttingen und später zeitweise bei Niels Bohr in Kopenhagen [1]. Auch mit Werner Heisenberg und Albert Einstein stand Pauli in engem wissenschaftlichem Austausch. Einstein und Pauli pflegten über Jahre hinweg einen Briefwechsel über die Grundlagen der Quantenmechanik – mehr als 2000 Korrespondenzen sind dokumentiert [2].

Die wissenschaftliche Welt, in die Pauli eintrat, war auf dem Weg zu fundamentalen Umbrüchen. Erst 1900, im Geburtsjahr Paulis, hatte der deutsche Physiker Max Planck die Hypothese veröffentlicht, dass Energie nicht beliebig teilbar, sondern in kleinste Einheiten portioniert ist: in Quanten [3]. Die seltsamen Phänomene der Quantenmechanik beschäftigten seitdem große Teile der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Einstein zeigte diese Quantifizierung der Energie in einer Arbeit 1905 auch für Licht, doch ein tiefgreifendes Verständnis dieser noch neuen Effekte fehlte.
Auch die Struktur der Atome barg noch einige Rätsel. Zwar beschrieb das Schalenmodell von Bohr aus dem Jahr 1913 bereits verschiedene Energieniveaus (Schalen) der Elektronen, doch die Struktur des Periodensystems ließ sich damit ebenso wenig zufriedenstellend erklären, wie die Tatsache, dass Elektronen nicht einfach alle gemeinsam in den energetisch günstigsten Grundzustand stürzen [1].
Aus drei mach vier: Eine neue Quantenzahl mit Spin
Das Fehlen einer Erklärung für die Natur der Elemente machte auch Pauli zu schaffen, bis er schließlich die entscheidende Idee hatte: Er postulierte im Februar 1925 eine Regel, nach der nur zwei Elektronen pro Schale erlaubt sind, und formulierte damit ein Ausschließungsprinzip [4]. Demnach, so Paulis Annahme, dürften die Elektronen in einer Schale niemals den gleichen physikalischen (Quanten-)Zustand haben.
Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Elektronen eines Atoms noch durch drei Quantenzahlen beschrieben (Hauptquantenzahl, Nebenquantenzahl und magnetische Quantenzahl). Pauli fügte kurzerhand eine vierte hinzu, mit der sich die „Zweideutigkeit“ der Elektronenpaare in den Schalen beschreiben ließ. Sind diese beiden Zustände vertreten, ist die Atomschale voll und bietet keinen Platz mehr für ein weiteres Elektron [3].
Vier Zahlen definieren die Materie
Jedes Elektron ist im Atom durch vier Quantenzahlen definiert. Stark vereinfacht wirken die Quantenzahlen wie folgt:
• Hauptquantenzahl (n): Energieniveau bzw. die Größe des Elektronenorbitals
• Nebenquantenzahl (l): Form des Orbitals (kugelförmige s-Orbitale, hantelförmige p-Orbitale, …)
• magnetische Quantenzahl (m): räumliche Ausrichtung des Orbitals
• Spinquantenzahl (s): gibt den Eigendrehimpuls des Elektrons an (Spin, notiert als +1/2 oder -1/2)
Das Ergebnis seiner Theorie: Ein generalüberholtes Atommodell, welches die verschiedenen Elementeigenschaften im Periodensystem erklärt, ebenso wie die bis dahin mysteriöse Feinaufspaltung der Energieniveaus beim sogenannten Zeeman-Effekt [11]. Ohne das Pauli-Prinzip würden alle Elektronen in das energieärmste Orbital stürzen, und die Vielfalt der chemischen Elemente existierte nicht. Chemische Reaktionen, die von den unterschiedlichen Energieniveaus der Elektronen getrieben werden, gäbe es nicht – und Leben, wie wir es kennen, könnte nicht entstehen.
Der Zeeman-Effekt: Betrachtet man das Spektrum eines Elements, so erkennt man charakteristische Spektrallinien. Bei Anlegen eines Magnetfeldes spalten diese sich auf. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Elektronen eines Atoms individuelle quantenmechanische Zustände einnehmen und sich somit voneinander unterscheiden lassen. Verantwortlich für die Aufspaltung der Spektrallinien ist die magnetische Quantenzahl. Doch die Feinaufspaltung der Linien lässt sich nur durch die von Pauli eingeführte vierte Quantenzahl beschreiben – später Spinquantenzahl genannt.
Ordnung im Atom: von Elektronen und Bus-Passagieren
Heute ist das Pauli-Prinzip Lehrstoff an jeder naturwissenschaftlichen Universität: Zwei Elektronen in einem Atom können nicht in allen vier Quantenzahlen übereinstimmen [4]. Die von Pauli 1925 postulierte vierte Quantenzahl stellte sich kurze Zeit später als Spin (Eigendrehimpuls) der Elektronen heraus – eine Eigenschaft, gegen die er zuvor noch selbst argumentiert hatte [1]. Innerhalb eines Atomorbitals mit Platz für je zwei Elektronen müssen diese Elektronen also entgegengesetzten Spin haben.
Aus dem paulischen Ausschließungsprinzip, auch Pauli-Verbot genannt, folgt die sogenannte hundsche Regel zur Elektronenbesetzung in einem Atom, ebenfalls 1925 formuliert von dem deutschen Physiker Friedrich Hund. Sie beschreibt, dass die Elektronen zunächst einzelne Orbitale mit gleicher Energie besetzen. Erst, wenn diese Orbitale alle bereits von einem Elektron besetzt sind, bilden sich mit weiteren Elektronen Paare in den Orbitalen. Dieses Phänomen ähnelt verblüffend dem Verhalten von Menschen bei der Platzwahl in einem Bus und wird daher auch als Bus-Seat-Rule beschrieben.

Ob Elektron im Atom oder Mensch im Bus: beide sind sich bei der Wahl des nächsten zu besetzenden Platzes einig. Die Elektronen folgen dabei der Regel nach Friedrich Hund und dem Pauli-Verbot – Menschen folgen eher ihrem Wunsch nach Privatsphäre.
Konsequenzen des Pauli-Prinzips: Festplatten und Sternexplosionen
Die Bedeutung des Pauli-Prinzips zeigt sich in vielfältiger Weise. So geht daraus die Austauschwechselwirkung hervor: eine Kraft, die Elementarmagnete stabilisiert und so ferromagnetische Materialien wie Eisen und Nickel ermöglicht [5]. Ohne diesen Quanteneffekt gäbe es folglich keine Permanentmagnete und damit keine Festplatten für Computer.
In der Astronomie zeigt sich das Pauli-Prinzip auf spektakuläre Weise: als Wegbereiter für Sternenexplosionen. Wenn Sterne mit vergleichbarer Masse wie unsere Sonne ihren nuklearen Brennstoff aufgebraucht haben, zieht die Gravitation sie zu Weißen Zwergen zusammen. Dass der Stern nicht beliebig weiter komprimiert, liegt am sogenannten Entartungsdruck – einer gegengerichteten Kraft, die aus dem Pauli-Prinzip resultiert [6]. Statt weiter zu verdichten, beschleunigen die Elektronen im Stern. Werden sie durch den steigenden Druck bis fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, kommt es ab einem Grenzwert (der Chandrasekhar-Grenze) schließlich zur Explosion in Form einer Kernkollaps-Supernova [6, 7].
Weniger spektakulär, aber deutlich nützlicher ist das Pauli-Prinzip in technischen Anwendungen. Es erklärt die Funktionsweise von Halbleitern in Transistoren, in denen Elektronen bestimmte Quantenzustände besetzen oder frei lassen können und so Schaltungen und Informationsspeicher ermöglichen – die Basis aller Computer und Smartphones [8].
Auch LEDs und Solarzellen beruhen auf den durch das Pauli-Prinzip definierten Energiebändern in Halbleitern. Auch LEDs und Solarzellen basieren auf dem Bändermodell von Halbleitern, dessen theoretische Grundlage das Pauli-Prinzip bildet [9]. LEDs erzeugen Licht, wenn Elektronen aus dem Leitungsband unter Photonenemission ins Valenzband zurückfallen. Bei Solarzellen funktioniert es umgekehrt: Photonen heben Elektronen vom Valenz- ins Leitungsband und erzeugen so Elektron-Loch-Paare und ermöglichen damit einen Stromfluss.
Ein Beispiel für hochmoderne Transistoren erklären wir unserem ROTH Xplains-Blog Hochleistungs-Energiesparchips
Der Pauli-Effekt: Fluch eines genialen Geistes?
Während das Pauli-Prinzip die Welt der Materie erklärt und ordnet, ist der Pauli-Effekt ein Synonym für Chaos. Er beschreibt nämlich die anekdotische Evidenz, dass experimentelle Geräte und Technik allgemein in Paulis Gegenwart ungewöhnlich oft versagten [6]. Ob nun der Diaprojektor bei seinem Vortrag ausfiel oder 1950 in Princeton ein Teilchenbeschleuniger Feuer fing – Pauli schien die technischen Defekte wie magisch anzuziehen [10]. Sein Freund und Forscherkollege Otto Stern verbot ihm zeitweise sogar den Zutritt zum Institut, aus Furcht vor den berühmt-berüchtigten Zwischenfällen in Paulis Gegenwart.
Wie viel Wahrheit hinter dem Technik-Fluch des genialen Gelehrten steckt, lässt sich nicht sagen. Klar ist, dass Paulis Werk bis heute die Wissenschaft prägt. Zurecht erhielt er 1945 den Nobelpreis für Physik [1].
Pauli kann als eine Schlüsselperson für eine neue Ära der Wissenschaft gesehen werden. Auf Basis des Pauli-Effektes formulierte Heisenberg die Grundzüge der Quantenmechanik und befeuerte damit die rasante Erforschung dieses noch neuen Feldes. Gemeinsam setzten sich die beiden Wissenschaftler für die Gründung des Europäischen Kernforschungslabors CERN bei Genf ein und arbeiteten an der Idee einer „Weltformel“ – eine einheitliche Feldtheorie der Elementarteilchen, die bis heute das Ziel der Wissenschaft ist.
Am 15. Dezember 1958 starb Pauli im Alter von nur 58 Jahren. Seine Werke halten bis heute dem wissenschaftlichen Fortschritt stand. Und wenn das nächste Mal die Zentrifuge oder der Drucker im Labor streikt, denkt nun vielleicht mancher an jenen berühmten Forschergeist zurück.
Quellen:
[1] https://science.apa.at/power-search/17978254575858792918
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Pauli
[4] https://schneppat.de/wolfgang-pauli/
[5] https://www.supermagnete.de/magnetismus/Austauschwechselwirkung
[6] https://www.sun.org/de/encyclopedia/degeneracy
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Chandrasekhar-Grenze
[8] https://schneppat.de/pauli-prinzip/
[9] https://www.spektrum.de/lexikon/physik/baendermodell/1213
[11] P. Zeeman: Über einen Einfluss der Magnetisirung auf die Natur des von einer Substanz emittirten Lichtes, Verhandlungen der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin, S. 127, 1896. (Die Internetquelle enthält zwischen den Seiten des Artikels irrtümlich weitere Seiten des Bandes.)