Element Oganesson
Zuletzt entdeckt, sichtbar nur für einen Augenblick
Oganesson, der jüngste und bislang schwerste Neuzugang des Periodensystems der Elemente, ist ein chemisch-physikalisches Paradox. Das synthetisierte Element ist den Edelgasen zugeordnet und doch widerspricht seine Beschaffenheit und sein chemisches Verhalten vielem, was diese Elementgruppe ausmacht: Forschende nehmen an, dass Oganesson bei Raumtemperatur zwar wie seine Genossen aus der Gruppe der Edelgase gasförmig vorliegt. Theoretische Berechnungen zeigen jedoch auch, dass seine Elektronen unter bestimmten Bedingungen durch relativistische Effekte metallische Eigenschaften annehmen und Oganesson hierdurch fest werden könnten.
Seine Anomalie in Bezug auf Materie, Bindungsenergien, Elektronendichte und chemische Reaktivität machen Oganesson für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu einem spannenden, diskussionswürdigen Forschungsgegenstand.
Oganesson – ein Exot im Periodensystem
Das Element mit der Ordnungszahl 118 ist das bislang schwerste aller bekannten Elemente und existiert kaum länger als ein Wimpernschlag. Es schließt als erstes überschweres Edelgas-Atom – vorerst – seine Elementgruppe ab. Erst im Jahr 2016 wurde Oganesson dem Periodensystem hinzugefügt – zusammen mit den drei weiteren Elementen Nihonium, Moscovium und Tenness. Sie alle vier reihen sich am Ende der siebten Periode ein und haben damit eines gemeinsam: Sie kommen in der Natur so nicht vor. Obwohl die mögliche Existenz von Oganesson bereits vor vielen Jahren durch theoretische Modelle vorhergesagt wurde, konnte es erst durch ausgereifte experimentelle Techniken hergestellt werden.
Herstellung unter extremen Bedingungen
Oganesson entsteht durch Kernfusion. Forschende nutzen dafür in der Regel einen Teilchenbeschleuniger, um leichtere Ionen gezielt auf schweres Zielmaterial prallen zu lassen. In einem typischen Experiment werden Kalzium-48-Ionen auf Californium-249-Atome geschossen. Dabei können die Atomkerne beider Elemente verschmelzen und das neue, superschwere Oganesson bilden. Was in der Theorie einfach klingt, ist in der Praxis ein komplexer Herstellungsprozess, der mehrere Monate dauern kann. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Fusion am Ende gelingt, ist extrem gering. Erschwerend kommt hinzu, dass die Halbwertszeit von Oganesson von so kurzer Dauer ist, dass weitere chemische Versuche und Untersuchungen nahezu unmöglich sind. Kaum hergestellt gibt Oganesson in weniger als einer Millisekunde ein Alphateilchen ab und zerfällt zu Livermorium.
Rätselhafter Aufbau: Ungewöhnliche Schalenstruktur und Elektronenverteilung
Den Wendepunkt brachte ein neuseeländisches Forschungsteam um Paul Jerabek von der Massey University in Auckland. Mithilfe quantenphysikalischer Modelle und Berechnungen konnte es erstmals tiefer in die Atomstruktur von Oganesson blicken. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nutzten dafür die Fermi-Lokalisierung. Dieses Verfahren ermöglichte es ihnen, den räumlichen Zusammenhang der Oganesson-Elektronen, ihrer Spins sowie deren Wechselwirkung zu berechnen. Die Erkenntnis daraus: Die Elektronenanordnung von Oganesson unterscheiden sich grundsätzlich von anderen, leichteren Elementen. Normalerweise bewegen sich Elektronen im Atom innerhalb sogenannter Orbitale, Orte an denen sie die größte Aufenthaltswahrscheinlichkeit haben. Bei Oganesson löst sich diese gewohnte Struktur nach außen auf: Die Elektronen im Außenbereich der Atomhülle verteilen sich bei diesem Element diffus, gleichmäßig, vergleichbar mit einer gasähnlichen Wolke.
Elektromagnetische Wechselwirkungen & diffuser Atomkern
Gründe für den Bruch der Ordnung sind unter anderem zwei Effekte, die im Inneren des Oganesson-Atoms wirken: Bei überschweren Elementen wachsen die Coulomb-Kräfte so stark, dass relati¬vistische Effekte ins Spiel kommen, die die Stabilität des Atoms vermindern. Die Elektronen im Inneren bewegen sich so schnell, dass wiederum die Spin-Bahn-Kopplung beeinflusst wird, was die gesamte Elektronenstruktur verändert: Die Elektronensind nicht mehr eindeutig lokalisierbar. Auch der Atomkern von Oganesson ist außergewöhnlich anders. Die 118 Protonen und 176 Neutronen im Kern führen zu speziellen Wechselwirkungen, die auch die Kernteilchen in einen diffusen, quantenphysikalischen Zustand in Form von Thomas-Fermi-Gas versetzen.
Alle gesammelten Erkenntnisse über die diffuse Elektronenverteilung, die leicht veränderbare Ladungsverteilung und seine Dipol-Fähigkeit deuten darauf hin, dass Oganesson reaktionsfreudiger ist als seine übrigen Edelgas-Genossen und bei Raumtemperatur potenziell fest werden kann.
Oganesson ist Grenzgänger des Periodensystems
Wegen seiner geringen Halbwertszeit und seiner aufwendigen Herstellung eignet sich Oganesson nicht für praktische Anwendungen. Dennoch erweist das synthetische Element der wissenschaftlichen Forschung einen enormen Dienst: Mit seinen 118 Protonen ist Oganesson ein Grenzgänger im Periodensystem, der bisher Bekanntes über atomare Stabilität, Element-Zugehörigkeit und chemische Vorhersehbarkeit ausreizt und auf die Probe stellt. Seine Elektronen bewegen sich so schnell, dass relativistische Effekte zu einem Verhalten führen könnten, das weder zu Edelgasen noch zu Metallen passen würde.
Fazit: Synthetische Elemente sind wichtig für die Erforschung schwerer Materie
Trotz seiner knappen und flüchtigen Existenz können Forschende an Oganesson bestehende Theorien über Kernaufbau, Elektronenschalenstruktur und Stabilität von Materie unter extremen Bedingungen überprüfen sowie Modelle über das Verhalten von Elektronen in überschweren Elementen verfeinern.
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Quellen:
https://www.scinexx.de/news/technik/element-118-ist-ein-exot
https://www.samaterials.de/blog/oganesson-element-properties-and-uses.html
https://pro-physik.de/nachrichten/superschwer-und-seltsam
https://www.spektrum.de/periodensystem/oganesson/1624074
https://www.internetchemie.info/chemische-elemente/oganesson.php