Food Fraud
Gefährlich gut getarnt: Wie moderne Analytik Lebensmittelbetrug aufdeckt
Jeder Wocheneinkauf ist eine Abfolge von Entscheidungen: Wald- oder Blütenhonig? Einfaches Rapsöl oder das feine Olivenöl? Heumilch von Weidekühen oder die günstige Discounter-Variante von Stallkühen? Neben geschmacklichen und ökologischen Aspekten ist es vor allem der Preis, der hier eine Rolle spielt. Und wo es um Geld geht, sind auch kriminelle Machenschaften nicht weit. Das scheinbar harmlose Supermarktregal entpuppt sich dann mitunter als Tatort. Die Rede ist von Lebensmittelbetrug, auch unter dem englischen Begriff „Food Fraud“ bekannt. Dabei geben Hersteller zum Beispiel vor, dass ein Lebensmittel besonders hochwertige Zutaten enthält, obwohl es in Wahrheit preiswerte Ersatzstoffe beinhaltet. Ein typisches Beispiel ist die Verwendung von chemisch synthetisiertem Vanillin, welches auf dem Produkt als „natürliches Vanillearoma“ deklariert – und entsprechend hoch bepreist – wird.
Was ist Lebensmittelbetrug?
Die europäische Kommission hat Kriterien aufgestellt, die einen Lebensmittelbetrug beschreiben [1]. Es handelt sich um …
- … eine Verletzung des europäischen Lebensmittelrechts …
- … durch gezielte und vorsätzliche Täuschung bzw. Irreführung der Verbraucher, …
- … die zu einem wirtschaftlichen Vorteil bzw. Gewinn des Lebensmittelfälschers führt.
Dabei ist Food Fraud kein Nischenproblem. Schätzungen zufolge sind europaweit jährlich rund zehn Millionen Kilogramm Lebensmittel davon betroffen [2]. Der weltweite finanzielle Schaden wird von der Europäischen Union auf etwa 30 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt und liegt damit in der Größenordnung des wirtschaftlichen Schadens durch illegalen Heroinhandel [3].
Die Ausprägungen von Lebensmittelbetrug sind vielfältig [1]. Hier nur die häufigsten:
- Verdünnung – Wurde das Lebensmittel mit anderen Zutaten gestreckt? Beispiel: zu hoher Wasseranteil in Fruchtsaft
- Substitution – Wurden einzelne Zutaten (teilweise) durch weniger hochwertige Zutaten ersetzt? Beispiel: Verwendung von Zistrosenblättern in Oregano
- Falsche Kennzeichnung – Wurden Falschangaben zu Qualität oder Herkunft des Lebensmittels gemacht? Beispiel: konventionelle Tomaten als bio-Tomaten auszeichnen
- Unzulässige Verarbeitung – Wurde das Lebensmittel durch Zugabe unbekannter oder nicht deklarierter Stoffe verändert, um Qualitätsmerkmale vorzutäuschen? Beispiel: Nitritbehandlung von Thunfisch für eine anhaltende Rotfärbung
Ist das schon Food Fraud?
Ein Aspekt von Lebensmittelbetrug ist es, Produkteigenschaften wie Aussehen oder Geruch gezielt zu verändern, um eine höhere Qualität vorzutäuschen. Es gibt aber auch durchaus legale Tricks, mit denen Lebensmittelhersteller die Verbraucher beeinflussen. So fallen wir etwa auf eine Art „Food Fraud light“ herein, wenn wir Orangen kaufen. Diese finden sich im Supermarkt typischerweise in Kunststoffnetzen, welche aus gutem Grund aus orangenen Fasern geschnürt sind. Das orange-farbige Netz lässt durch eine optische Täuschung (Farbassimilation bzw. ‚Konfetti-Illusion‘) die darin verstauten Südfrüchte reifer aussehen und kann über einen leichten Grünschimmer hinwegtäuschen. Der Einsatz solcher überlagerten Muster ist nach Farbforscher Hans Munker als Munker-Netz bekannt. Ob es sich bei dieser Praxis schon um Lebensmittelbetrug handelt, mag man für sich selbst entscheiden. Ökologischer ist es ohnehin, die Orangen ohne Kunststoffnetz zu kaufen [11].
Beispiel 1: Gefährlicher Proteingehalt in Milchpulver
Grundsätzlich ist der Hauptgrund für Lebensmittelfälscher eine Gewinnmaximierung. Dennoch können Falschdeklaration und Ersatzinhaltsstoffe in manchen Fällen auch die Gesundheit der Verbraucher gefährden. Als besonders dramatisches Beispiel ist hier der 2008 aufgedeckte Melamin-Skandal zu nennen. Dabei hatte ein chinesischer Hersteller von Milchpulver dieses mit der Substanz Melamin versetzt, um einen höheren Proteingehalt im Endprodukt zu erzielen. Proteine werden in der Lebensmittelanalytik typischerweise mit der so genannten Kjeldahl-Methode anhand des Stickstoffanteils bestimmt. Allerdings erfasst Kjeldahl lediglich den Gesamtstickstoffgehalt einer Probe, nicht, ob der Stickstoff tatsächlich aus Proteinen stammt. Aminosäuren, die Bausteine der Proteine, haben meist einen Stickstoffmassenanteil von unter 20 Prozent, bis maximal 32 Prozent für Arginin. Da Melamin als kleines Molekül mit sechs N-Atomen sehr stickstoffreich ist (67 Massenprozent), genügten vergleichsweise geringe Zusätze, um in dem Milchpulver einen hohen Proteingehalt vorzutäuschen.
Da die so präparierten Milchpulver auch als Säuglingsnahrung in den Verkauf gingen, kam es 2007 zu zahlreichen Fällen von Nierensteinen und Nierenversagen bei Säuglingen und Kleinkindern, verursacht durch das Melamin. Sechs Kinder starben an den Folgen [4].
Dies verdeutlicht auf tragische Weise eine der großen Herausforderungen in der Lebensmittelüberwachung: Methoden prüfen genau das, was sie technisch leisten können, und eine Methode wird genau dann herangezogen, wenn ein Grundverdacht besteht. So werden in Lebensmittelscreenings typische gefährliche Inhaltsstoffe erfasst, die schon einmal als Verunreinigung aufgefallen waren, etwa Mykotoxine oder bestimmte Bakterien wie Salmonellen in Produkten mit Rohei. Im Fall der chinesischen Säuglingsnahrung gab es allerdings bis dato keinen Verdacht auf den Zusatz eines stickstoffreichen nicht-Protein-Stoffes – geschweige denn von Melamin –, weshalb das Lebensmittel auch nicht analytisch auf solche Stoffe überprüft wurde.
Beispiel 2: Pferdefleisch-Skandal von 2013
Ein ebenso plakatives Beispiel mit einem immensen Medienecho ist der „Pferdefleisch-Skandal“, bekannt geworden im Jahr 2013. Diverse Handelskonzerne und Lebensmittelfirmen hatten Rindfleischprodukte mit preiswerterem Pferdefleisch gestreckt und so einen Zusatzgewinn von 550 000 Euro generiert, wie die Organisation Foodwatch schreibt. Innerhalb von wenigen Monaten waren rund 750 000 Tonnen Pferdefleisch in Lasagne und anderen Rindfleischprodukten in Umlauf gelangt [5].
Der Skandal war nicht eine mindere Qualität des Fleisches an sich, sondern die falsche Deklaration. Der Nachweis von falsch bzw. nicht deklariertem Fleisch erfolgt über die Analyse tierartspezifischer Proteine oder per PCR-Analytik. Bei letzterer Methode werden DNA-Spuren aus der Probe mittels Polymerase-Kettenreaktion (polymerase chain reaction) vervielfältigt und identifiziert. So lassen sich etwa die Tiergattungen Equus (Pferd, Esel, Zebra), Rind, Schwein und Lamm, teilweise bis auf die einzelne Art, anhand der DNA unterschieden [6].
Die Nachweisgrenze für Fleischanteile in verarbeiteten Produkten liegt bei etwa 0,5 %. In rohem, unverarbeitetem Fleisch ist sie mit 0,1 % deutlich niedriger, da hier keine DNA durch den Erhitzungsprozess geschädigt wird [7]. Damit ist die Methode ausreichend empfindlich, um absichtlich beigemengtes Fleisch festzustellen. Laut Angaben des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg ist bei DNA-Anteilen über fünf Prozent im Lebensmittel von einer eigenen Zutat – z. B. Pferd – auszugehen. Anteile zwischen einem und fünf Prozent werden als Hinweis auf eine nicht deklarierte Tierart gewertet, und Anteile unter ein Prozent gelten als herstellungsbedingte Verschleppungen [6].
Beispiel 3: Die wahre Herkunft der Lebensmittel – bio und regional?
In den beschriebenen Fällen von Melamin in Milchpulver und Pferdefleisch in der Lasagne ist klar ersichtlich ist, welche Substanz analytisch gefunden werden muss, um den Betrug aufzudecken. Doch wie verhält es sich, wenn Produzenten keine Inhaltsstoffe verändern, sondern die Herkunft eines Lebensmittels verschleiern? Wie lässt sich etwa überprüfen, ob die Milch tatsächlich ihr „Bio“-Siegel verdient? Oder ob der Apfelsaft wirklich aus Äpfeln im regionalen Anbau stammt?
Was scheinbar unmöglich zu belegen ist, ruft die Stabil-Isotopenanalyse auf den Plan. Mit dieser Methode lassen sich verblüffend genaue Unterschiede in der Lebensmittelproduktion feststellen. Für die Überprüfung von Bio-Milch wird etwa der Anteil des Kohlenstoffisotops 13C gemessen. Er unterscheidet sich signifikant beim Vergleich von so genannten C4-Pflanzen wie Mais, die bei konventioneller Fütterung verwendet werden, und C3-Pflanzen wie Gras und Klee aus der „Bio-Fütterung“. Entsprechend den unterschiedlichen 13C-Anteilen in den Futterpflanzen finden sich auch in der Milch dieselben Isotopenverhältnisse. So lässt sich das Bio-Versprechen in Milch analytisch verifizieren [8].
Nach dem gleichen Prinzip wird auch das Sauerstoffisotop 18O untersucht, genauer: das Verhältnis des schweren Sauerstoff-Isotops 18O zum leichteren ‚Standard-Atom‘ 16O, der so genannte δ18O-Wert. Dieser eignet sich besonders gut für die Überprüfung geographischer Angaben, da der Wert mit Entfernung zur Küste zu immer negativeren Werten verschoben wird.
Für die Herkunftsüberprüfung von Apfelsäften ergibt sich beispielsweise folgendes Bild: Höhere δ18O-Werte von -3,5 bis -3,99 ‰ werden ausschließlich im Nordwesten Bayerns (Unterfranken) erzielt. Nach dem Reference Guideline Apple (Stand: Januar 2016) der European Fruit Juice Association AIJN liegt der δ18O-Durchschnittswert von Apfelsäften (Direktsäften) bei mindestens -6,5 ‰, für Zentraleuropa sind Werte von -5 bis -4 ‰ gegenüber dem Vienna Standard Mean Ocean Water (V-SMOW) zu erwarten. Weichen die gemessenen Werte signifikant von den erwarteten ab, ist dies ein Indiz für falsch deklarierte Herkunft des Apfelsaftes, oder die unzulässige Beimengung von Wasser [9].
Der δ18O-Wert zeigt die Entfernung zur Küste an
Der Isotopenwert von 18O im Wasser nimmt ab, je weiter man sich von der Küste ins Landesinnere bewegt. Dies liegt daran, dass bei der Kondensation von Wasserdampf schwerere Isotope bevorzugt ausregnen, wodurch die Wolken immer weniger 18O enthalten, je weiter sie ins Inland ziehen. Dadurch zeigt sich im Grundwasser ein geographischer Gradient: Küstenregionen haben höhere 18O-Werte, während diese im Landesinneren geringer ausfallen [12].
Die Meisterklasse: non-Target-Screening
Die Beispiele für Food Fraud könnten noch beliebig lange fortgeführt werden. Behörden stehen stets vor der Herausforderung, die Tricks der Lebensmittelbetrüger zu entlarven. Mittlerweile bietet die instrumentelle Analytik auch die Möglichkeit des Non-Target-Screenings, was zwar aufwendiger ist als die Suche nach einer bestimmten Fremdsubstanz, aber dafür den großen Vorteil bietet, auch bislang unbekannte Abweichungen zu entdecken.
Solche nicht-zielgerichteten Verfahren erstellen einen charakteristischen chemischen Fingerabdruck eines Lebens- oder Futtermittels, etwa per Hochleistungsflüssigchromatographie (HPLC) oder Gaschromatographie (GC) gekoppelt mit hochauflösender Massenspektrometrie (HRMS). Die erstellten Messdaten werden dann mit den Daten einer Referenzbibliothek vergleichen und können so die Echtheit der Lebensmittelprobe verifizieren – oder bei Abweichungen eben falsifizieren, so dass weitere Analysen eingeleitet werden. Mittels solch ganzheitlichen Analysen wird es in Zukunft immer besser gelingen, die Authentizität und auch Sicherheit unserer Lebensmittel zu gewährleisten. Damit nicht nur das Portemonnaie, sondern auch die Gesundheit der Verbraucher geschützt bleibt [10].
Quellen:
[2] https://vsvbb.de/lebensmittelbetrug/
[3] https://www.mri.bund.de/de/nrz/das-nrz-authent/
[4] https://www.spektrum.de/kolumne/eine-prise-chemie-melamin-skandal-um-babymilch-in-china/2227016
[6] https://www.ua-bw.de/uploaddoc/cvuafr/Nachweis_Pferd_Poster_Lebensmittelchemikertag_2013.pdf
[7] https://www.q-s.de/services/files/newscenter/13%2002%2014%20DNA-Analytik.pdf