Wettlauf um die Zeit


Die Zeit in den schönsten Momenten anhalten können: Diese menschliche Sehnsucht wird uns die Wissenschaft wohl nie erfüllen.

Dafür ist einem Forschungsteam der Frankfurter Goethe Universität aber ein anderer Zeit-Coup gelungen, der ähnlich unvorstellbar klingt:

Die Atomphysikerinnen und -physiker um Reinhard Dörner haben es 2020 geschafft, die kürzeste jemals gemessene Zeitspanne zu erfassen: 247 Zeptosekunden. Das ist aktueller Weltrekord in der Kurzzeitmessung.


Wie kurz ist eine Zeptosekunde? Eine Einordnung.

247 Zeptosekunden – so lange braucht ein Lichtteilchen, um mit Lichtgeschwindigkeit ein Molekül aus zwei Wasserstoffatomen zu durchqueren. Diese Spanne ist so kurz, dass sie jeglichem menschlichen Zeitgefühl entflieht und viel Vorstellungskraft benötigt:

Eine Zeptosekunde ist ein Billionstel einer Milliardstel Sekunde (10-21 s).

Zum Vergleich:

  • 100: Das menschliche Herz schlägt im Sekundentakt.
  • 10-3: In einer Millisekunde blitzt ein typisches Fotogerät.
  • 10-6: Ein Hochgeschwindigkeits-Stroboskop flackert mikrosekündlich.
  • 10-9: Moderne Computer-Prozessoren rechnen in einer Nanosekunde mehrere Aufgaben.
  • 10-12: Augenpigmente reagieren in einer Pikosekunde auf Licht.
  • 10-15: Die zuvor gemessene kleinste Zeiteinheit, die Femtosekunde, verhält sich zur Sekunde so wie eine Sekunde zu 32 Millionen Jahren.

Aber eigentlich ist bereits eine Nanosekunde für uns schon völlig abstrakt.


Wasserstoffmolekül und Röntgenstrahlen sorgen für „Stoppuhr-Weltrekord“

Für seinen Vorstoß in die Ära der Femtosekunde gewann der ägyptische Chemiker Ahmed Zewail 1999 den Nobelpreis.

Für die aktuelle Weltrekord-Zeitmessung beschoss das Frankfurter Forschungsteam gemeinsam mit Hamburger und Berliner Kollegen am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY, Hamburg) Wasserstoffmoleküle mit Röntgenstrahlen. Sie nutzten dafür PETRA III (Positron-Elektron-Tandem-Ring-Anlage), eine der hellsten speicherringbasierten Röntgenstrahlungsquellen der Welt. Die Strahlenenergie stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so ein, dass ein Photon reichte, um beide Elektronen aus dem Wasserstoffmolekül (H2) zu drängen.


Interferenzmuster als Berechnungsgrundlage

Durch das Herausschlagen der Elektronen bildeten sich um beide Wasserstoffatome Elektronenwellen, die sich überlagerten. Das entstehende Interferenzmuster untersuchten die Forschenden unter einem speziell entwickelten Reaktionsmikroskop namens COLTRIMS (Cold Target Recoil Ion Momentum Spectroscopy).
Das Wissen um die räumliche Orientierung des Moleküls war dabei entscheidend. Kombiniert mit dem Interferenzmuster konnte das Forschungsteam präzise berechnen, wann das Lichtteilchen das erste und wann das zweite Wasserstoffatom erreicht hatte.

Dazwischen lag ein zeitlicher Abstand von bis zu 247 Zeptosekunden. Die tatsächlich gemessene Zeit war abhängig davon, wie weit die beiden Atome im Molekül aus Sicht des Photons voneinander entfernt lagen.


Zum Ausruhen: Eine kurze Runde durch die Geschichte der Zeitmessung

Das menschliche Bedürfnis, Zeit zu messen, besteht schon seit dem Altertum. Die praktische Notwendigkeit, Zeit immer genauer zu erfassen, trieb die technische Entwicklung der Messgeräte voran. Sie reichte von den Elementaruhren, die mit Sonne, Wasser und Kerzen betrieben wurden, über Feder- und Pendeluhren, mechanische und elektrische Zeitmesser bis hin zu Atom(kern)uhren.

Aus Wissenschafts- und Forschungssicht ist vor allem die Kurzzeitmessung relevant. Sie ermöglicht es, schnelle physikalische, chemische und biologische Prozesse zeitlich hochdetailliert zu untersuchen. Dank ihr ist es möglich, für das Auge nicht wahrnehmbare Vorgänge in Natur und Umwelt zu entschlüsseln. Sie ist ein maßgeblicher Faktor, um technologische Innovationen voranzutreiben und fundamentales Wissen über unser Universum zu erlangen.


Zeptosekunde – ein Quantensprung für technologischen Fortschritt?

Deshalb ist der Weltrekord um die Zeptosekunde mehr als ein Prestigegewinn im internationalen Forschungswettbewerb. Er birgt das Potenzial, die Kurzzeitmessung und damit ihre Einsatz- und Anwendungsgebiete noch präziser zu machen.

Zum Beispiel, wenn es um das Verstehen chemischer und quantenmechanischer Prozesse geht. Wenn es darum geht, neue Technologien im Bereich der Materialwissenschaften und der Medizin zu entwickeln, oder darum, weitere bisher unerklärliche physikalische Phänomene auf unserer Welt und im Universum zu untersuchen.

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Quellen:

https://aktuelles.uni-frankfurt.de/forschung/physik-zepto-sekunden-neuer-weltrekord-in-kurzzeit-messung/

https://www.science.org/doi/10.1126/science.abb9318

https://www.mpq.mpg.de/5388236/16-11-07-zeptosekunden-stoppuhr-fuer-den-mikrokosmos

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Gr%C3%B6%C3%9Fenordnungen_der_Zeit

https://www.stern.de/panorama/wissen/zeitmessung–weltrekord—deutsche-forscher-erfassen-kuerzeste-jemals-gemessen-zeitspanne-9456060.html

https://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/66791075/FoFra_2017_01_Messbare_Zeit_Von_der_Sonnenuhr_zur_Atomuhr.pdf

https://www.chemie.de/news/160494/eintritt-in-die-zeptosekunden-messung.html

https://winfuture.de/news,118918.html

https://www.ardalpha.de/wissen/weltall/astronomie/sterngucker/entfernungen-all-kilometer-lichtjahre-parsec-astronimische-einheit-100.html

https://www.desy.de/forschung/anlagen__projekte/petra_iii/index_ger.html

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