
Extremes Netzwerk
Das größte Lebewesen der Welt ist kein Blauwal, kein Elefant, kein Mammutbaum, sondern ein Pilz. Mit seinem unterirdischen Myzel breitet sich ein einziger Hallimasch im Malheur National Forest in Oregon über eine Fläche von rund neun Quadratkilometern aus – und das seit Tausenden von Jahren. Der Pilzgigant fasziniert Forschende über diese Superlative hinaus mit seiner Art und Weise, wie er existiert und wächst. Ein Myzel, das Netzwerk aller Pilzfäden, ist immer ein hochfunktionales, dezentrales und anpassungsfähiges System. In der Größe des Riesenhallimasch eröffnet es der Wissenschaft jedoch ganz neue Perspektiven.
Zufallsentdeckung des größten lebenden Organismus der Welt
Die Entdeckung des Riesenhallimasch war ein Zufallsfund. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts bemerkten Forstwissenschaftler im US-Bundesstaat Oregon ein rätselhaftes Baumsterben. Ein Forschungsteam um Forstwissenschaftlerin Catherine Parks sammelte daraufhin 112 Proben pilzbefallener Baumwurzeln. Die überraschende Erkenntnis nach der mehrfach überprüften Genanalyse: Der Großteil der Proben war genetisch identisch und stammte von einem einzigen Organismus der Art ‚Dunkler Hallimasch‘ (Armillaria ostoyae) – eine wissenschaftliche Sensation.
Langlebig und hochvernetzt
Die sich anschließende Forschung ergab weitere Superlative: Der Riesenpilz breitet sich in diesem Waldgebiet seit mindestens 1900 Jahren aus – manche schätzen ihn auf über 8000 Jahre. Mittlerweile bringt er mindestens 7500 Tonnen auf die Waage, Schätzungen gehen hier von bis zu 35 000 Tonnen aus. Mit einer Ausdehnung von über neun Quadratkilometern entspricht seine Myzelfläche etwa 1200 Fußballfeldern. Für das menschliche Auge bleibt diese gigantische Erscheinung jedoch weitgehend unsichtbar. Denn dieses Myzel, der eigentliche Körper des Pilzes, liegt unter der Erde, in Form eines weitverzweigten, feinen Geflechts aus Zellfäden, den sogenannten Hyphen.
Das Myzel: Smartes Netzwerk ohne Steuerungszentrum
Ihr Myzel macht Pilze im Allgemeinen – und diesen Riesenhallimasch im Besonderen – so einzigartig. Dieses unterirdische Pilzgeflecht zieht sich als engmaschiges Netzwerk durch den Boden. Da es sich um Zellen eines einzigen Organismus handelt, sind die Hyphen alle genetisch identisch und wachsen ähnlich wie Pflanzenwurzeln durch Zellteilung. Pilzmyzelien können sich so kilometerweit verzweigen.
Das Netzwerk funktioniert dabei, ähnlich wie das Wurzelsystem von Pflanzen, ohne zentrales Steuerorgan, wie das Gehirn bei Tieren, aber dennoch hochorganisiert. Pilze nehmen über ihr Myzel chemische und physikalische Reize wahr. Zum Beispiel Temperatur, Feuchtigkeit, chemische Botenstoffe aus Baumwurzeln oder auch Bodenschwingungen. Sie reagieren darauf, indem sie beispielsweise ihre Wuchsrichtung anpassen. So wie es aktuell erste Daten zur Kommunikation zwischen Pflanzen gibt, so vermuten manche Forschende auch eine, vielleicht chemische, Kommunikation zwischen Pilzen.
Perfekte Wachstumsbedingungen
Der Hallimasch ist mit seinen verschiedenen Unterarten weltweit zu finden. Der größte bisher bekannte europäische Pilz, auch ein Hallimasch, lebt in der Schweiz und sein Myzel umfasst geschätzt jugendliche 500 bis 800 Quadratmeter.
Dass eine Armillaria ausgerechnet im Malheur National Forest so außergewöhnlich groß werden konnte, lässt sich zumindest teilweise durch die besonderen Umweltbedingungen vor Ort erklären. Im trockenen Klima Oregons bildet der Hallimasch nur selten Fruchtkörper und kann sich daher kaum geschlechtlich fortpflanzen. Das begünstigte sicherlich seine vegetative Ausbreitung: Über Jahrtausende wuchs das Myzel ungestört weiter, unterstützt von passenden Wirtsbäumen in einem nahezu unberührten Waldgebiet.
Ambivalenter Hallimasch
Obwohl der Dunkle Hallimasch mit seinen dunkelbraunen Hütchen-Fruchtkörpern harmlos aussieht, entpuppt er sich bei genauerer Betrachtung als Parasit. Sein Myzel-Netzwerk ist für das eigene Leben und Wachsen smart, für seine Umgebung jedoch potenziell gefährlich.
Hallimasche vergrößern ihr Myzelnetz kontinuierlich durch den Waldboden, immer auf der Suche nach einem neuen Wirt in Form des nächsten Baumes. Dort schiebt der Pilz Myzelzellen von der Wurzel her unter der Rinde nach oben und entzieht dem Baum Wasser und Nährstoffe.
Gesunden Bäumen gelingt es oftmals, Armillaria durch Wundgewebe abzuwehren. Dann kann sich ein recht stabiles ‚Untermieter-Gleichgewicht‘ entwickeln, bei dem der Baum den Pilz miternährt. Welche Vorteile der Baum dabei hat, weiß man noch nicht. Ermattet der Baum aber, breitet sich der Pilz im Inneren immer weiter aus und ‚drückt dem Baum‘ im Wortsinn ‚den Saft ab‘, bis dieser letztendlich stirbt.
Der Hallimasch arbeitet sich dann im Inneren des Stamms weiter nach oben und zersetzt in Zusammenarbeit mit anderen Pilzen, Insekten und Mikroorganismen das Holz langsam, bis der Baum fällt. Und auch dann hilft der Pilz dabei, das Totholz durch Recycling in Pflanzennährstoffe und wertvollen Humus zu verwandeln. Damit nimmt der Armillaria eine wichtige Funktion im Nährstoffkreislauf des Waldes ein.
Ein verborgenes Netzwerk mit Zukunftspotenzial
Je besser wir sie verstehen, desto klarer wird, dass Pilze alles andere als unscheinbar sind. Evolutionär betrachtet sind sie Meister im Überleben.
Neben den nachhaltigen Ansätzen, Pilzmyzelien in Formen wachsen zu lassen, um Gegenstände herzustellen – bei Fahrradhelmen bereits in der Anwendung – verspricht auch die weitere Erforschung spannende Erkenntnisse: Bei Pilzen an sich und besonders bei einem Organismus von den Ausmaßen des Riesenhallimasch.
Wie funktioniert die Informationsleitung und -verarbeitung in dem gigantischen Myzel-Netzwerk? Wie kann ein Organismus so alt werden? Handelt es sich überhaupt noch um einen einzigen Organismus oder hat er sich in viele Klone aufgesplittet, sodass die Organisationsstruktur des einzelnen Organismus überschaubar bleibt? Wenn ja, wie erfolgt die genetische Regulierung, sodass die Klone genetisch identisch bleiben und nicht durch Mutationen Unterschiede entstehen?
Was auch immer die Pilz-Forschung aufklären wird, eines können wir jetzt schon von Armillaria lernen: Eine starke und sinnvolle Vernetzung steigert die Effizienz deutlich.
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Quellen:
https://www.scinexx.de/news/biowissen/wie-intelligent-sind-pilze
https://zeitundwelt.de/gesellschaft/der-groesste-pilz-der-welt
https://www.srf.ch/sendungen/me-biodiversitaet/hallimasch-das-ist-das-groesste-lebewesen-der-welt