Insekten – eine sinnvolle Ergänzung auf dem Speiseplan?!


Insektenburger statt Rindergehacktes? Wenn man vom kulturell bedingten „Ekel-Faktor“ absieht, sprechen viele Argumente dafür, die kleinen Energielieferanten in die Ernährung zu integrieren. Was Insekten außer Proteinen noch bieten und wie die rechtlichen Vorgaben in der EU zur Zulassung von Insekten als Lebensmittel aussehen, erfahren Sie hier.

Die Welt bleibt so groß, wie sie ist, aber die Bevölkerungszahl wächst in den kommenden Jahrzehnten weiter an. Im Jahr 2100 werden schätzungsweise über zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Das bedeutet, dass dann zwei Milliarden Menschen mehr ernährt werden müssen als heute [1]. Eine Herausforderung, die neue Wege und eine gerechtere Verteilung von Lebensmitteln erfordert – oder neue Nahrungsmittel.

Novel Food ist hier ein Stichwort, hinter dem sich Strategien verbergen, dem wachsenden Welthunger zu begegnen. Dabei handelt es sich um „neuartige Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden“ [2]. Dazu gehören etwa Lebensmittel aus Zell- oder Gewebekulturen (beispielswiese in vitro gezüchtetes Laborfleisch), Lebensmittel aus Mikroorganismen, Pilzen, Algen oder auch aus Tieren, die bisher in Europa nicht verzehrt wurden, zum Beispiel Insekten. Doch können die kleinen Sechsbeiner hierzulande überhaupt einen nennenswerten Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung mit Nährstoffen leisten?

Der rechtliche Rahmen zum Verzehren von Insekten ist gesetzt

Was in Europa mit großer Skepsis seitens der Verbraucher gesehen wird, ist in asiatischen Ländern schon lange Teil der Esskultur. Dort gehören Insekten in verschiedensten Formen zum Speiseplan wie hierzulande Brot und Kartoffeln. Seit 2015 ist mit der europäischen „Novel-Food-Verordnung“ [3] und seit 2018 mit der „Durchführungsverordnung über die Verfahrensschritte bei der Konsultation zur Bestimmung des Status als neuartiges Lebensmittel“ [4] aber auch hierzulande der Weg rechtlich geebnet, Lebensmittel aus Insekten oder Insektenbestandteilen auf den Markt zu bringen. Seitdem haben vier Spezies ihre Zulassung als Lebensmittel über die Novel-Food-Verordnung erhalten, meist in gefrorener oder getrockneter Form [5].

  • Larven des Gelben Mehlkäfers (Tenebrio molitor), besser bekannt als Mehlwürmer – 22. Juni 2021
  • Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) – 5. Dezember 2021
  • Hausgrille (Acheta domenicus), auch als Heimchen bekannt – 3. März 2022
  • Larven des Getreideschimmelkäfers (Alphitobius diaperinus), auch Buffalowurm genannt – 24. Januar 2023

So wird ein Insekt zum Lebensmittel

Um ein neues Lebensmittel, etwa eine neue Insektenart, nach der Novel-Food-Verordnung (Verordnung (EU) 2015/2283) [3] zuzulassen, muss ein Antrag bei der Europäischen Kommission gestellt werden. Darin legen die Antragsteller Daten über Zusammensetzung, Herstellungsverfahren und geplante Verwendung des Produktes vor sowie wissenschaftlich fundierte Daten über die ernährungsphysiologischen und toxikologischen sowie allergenen Eigenschaften. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) prüft die Sicherheit des vorgeschlagenen Produkts. Ist diese gewährleistet, kann die EU-Kommission die Zulassung beschließen, allerdings nur, wenn die Mitgliedsstaaten zustimmen. Die Zulassung gilt dann für fünf Jahre exklusiv für den Antragsteller. Danach dürfen auch Wettbewerber das Produkt vermarkten [5,6].

 

Weitere Infos zur Novel-Food-Verordnung und dem Zulassungsverfahren auf der Seite der Europäischen Kommission (englisch): https://food.ec.europa.eu/safety/novel-food/legislation_en

Warum sollten wir Insekten als Lebensmittel eine Chance geben?

Aus ökotrophologischer Sicht sind Insekten wertvolle Proteinlieferanten und stehen in dieser Hinsicht Fleischprodukten in nichts nach. Grillen beispielsweise enthalten in frischem Zustand rund 20 Prozent Protein, getrocknet sogar zwischen 50 und 70 Prozent [7]. Zum Vergleich: Rindfleisch enthält frisch etwa 25 Prozent Protein beziehungsweise 55 Prozent als Trockenmasse.

Auch der Mehlwurm ist in dieser Hinsicht eine valide Fleischalternative. 100 Gramm der getrockneten Käferlarven enthalten rund 50 Gramm Protein. Zudem haben Mehlwürmer einen allgemein höheren Vitamingehalt als Rindfleisch [8]. Eine Ausnahme bildet das nur in tierischen Lebensmitteln vorkommende Vitamin B12, das in Mehlwürmern mit 0,5 µg pro 100 Gramm in deutlich geringerer Konzentration vorliegt als in Rindfleisch (etwa 3 µg/100 g) [8]. Dafür punkten die in Europa ebenfalls bereits als Lebensmittel zugelassenen Heimchen mit einem Vitamin-B12-Gehalt von über 5 µg/100 g.

Aber auch wenn der Vitamin B12-Gehalt von Art zu Art variiert, sind Insekten ernährungswissenschaftlich als wertvoll einzustufen, denn sie liefern neben Proteinen große Mengen an Omega 3- und 6-Fettsäuren, Spurenelementen und Mineralstoffen wie Magnesium und Phosphor, sowie an verschiedensten Aminosäuren. Mehlwürmer zeichnen sich beispielsweise durch einen hohen Methioningehalt aus [7] und auch andere essenzielle Aminosäuren wie Leucin, Valin, Tryptophan oder Threonin haben in Käfern vergleichbare Gehalte wie in Fischmehl; bei Phenylalanin ist der Aminosäuregehalt der Insekten sogar deutlich höher. Einen guten Überblick über Nährwerte bei Insekten gibt ein Papier der Verbraucherzentrale in Hamburg [9].

Auch der Umweltaspekt spricht für die Integration von Insekten in die tägliche Ernährung. Sie haben einen geringeren Platz- und Futterbedarf pro erzeugtem Kilogramm Lebensmittel, damit einen geringeren CO2-Fußabdruck und sind zudem vollständiger verwertbar. Während bei Rindern nur rund 40 Prozent des Tieres auf dem Teller landen, können bei Heuschrecken etwa 80 Prozent des Tieres verzehrt werden [10]. Zudem können Insekten aktuell ohne den Einsatz von Antibiotika, anderen Medikamenten oder Chemikalien gezüchtet werden.

Allergisches Potenzial und weitere Risiken

Allerdings sollen auch die Nachteile beziehungsweise Risiken bei Insekten als Lebensmittel nicht verschwiegen werden. So deuten bisherige Untersuchungen darauf hin, dass Insecta in ähnlicher Weise allergische Reaktionen hervorrufen können wie Crustaceae (Krustentiere). Nicht vollständig überraschend, da beide (zusammen mit den Chelicerata – Spinnentieren, Skorpionen, Milben etc.) zum Stamm Arthropoda (Gliederfüßler) gehören. Hauptallergene sind die Proteine Tropomyosin und Argininkinase [11]. Die Allergenität dieser Proteine bleibt selbst nach thermischer Behandlung erhalten, weshalb Allergikern mit einer bekannten Schalentier-Allergie vom Verzehr von Insektenprodukten aus Sicherheitsgründen abgeraten wird.

Aus diesem Grund gilt für Lebensmittel aus Insekten oder mit zugesetztem Insektenanteil eine strenge Kennzeichnungspflicht. Zum einen müssen die verwendeten Insektenarten in der Zutatenliste aufgeführt sein. Dies kann zum Beispiel wie folgt aussehen: „teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille)“ oder „gefrorene Larven/Paste aus Larven von Alphitobius diaperinus (Getreideschimmelkäfer)“. Zum anderen muss ein Allergiehinweis auf dem Produkt angegeben sein, der Verbraucher mit Allergie gegen Krebs- und Weichtiere oder Hausstaubmilben warnt [5]. Diese Hinweise müssen laut EU-Verordnung 2023/5 direkt bei der Zutatenliste aufgeführt sein.

Während die Allergenität eher eine kleine Gruppe von Verbrauchern betrifft, gibt es bei Insekten als Lebensmittel auch das allgemeine Risiko von aufkommenden Zoonosen, also der Übertragung von Tierkrankheiten (beispielsweise verursacht durch Viren) auf den Menschen. Laut Verbraucherzentrale Hamburg seien diese zwar unwahrscheinlich, die aktuelle Forschung zu übertragbaren Krankheiten bei Zuchtinsekten sei aber noch unzureichend [7].

Grundsätzlich fehlen im Bereich der Insektenzucht noch die Erfahrungen und Vorgaben, die in der Massentierhaltung von Säugetieren, Vögeln und Fischen über Jahrzehnte gesammelt wurden. Zwar verweisen Züchter in Europa darauf, dass Insekten bisher ohne den Einsatz von Antibiotika oder anderen Chemikalien gezüchtet werden, spezielle Vorgaben für die Zucht von Speiseinsekten gibt es derzeit jedoch keine [11].

Insekten als Lebensmittel der Zukunft?

Wie Insekten zukünftig in der europäischen Ernährung vertreten sein werden, hängt allerdings nicht nur von der Akzeptanz der Verbraucher ab. Diese ließe sich durch vorsichtiges Einbinden höchstwahrscheinlich erreichen, etwa in verarbeiteten Produkten, in denen Insekten lediglich als eine von vielen kennzeichnungspflichtigen Zutaten enthalten sind. Aber auch die gesetzlichen Vorgaben zur Insektenzucht für den Lebensmittelsektor sowie die Forschungsarbeiten zu Inhaltsstoffen und potenziellen Risiken sind wichtige Faktoren, um diesen in Europa noch kaum erschlossenen Zweig der Ernährung stärker nutzen zu können.

Drei Lebensmittel-Zusatzstoffe, die schon lange aus Insekten(produkten) bestehen

Insekten zu essen ist sicherlich für viele Europäer mit Ekel verbunden. Doch Zusatzstoffe aus verarbeiteten Insektenteilen oder -produkten sind schon längst fester Bestandteil der Lebensmittelproduktion [5]:

    • Echtes Karmin (E 120): Der natürliche rote Lebensmittelfarbstoff wird aus getrockneten weiblichen Cochenille-Schildläusen gewonnen und findet sich beispielsweise in Schokolinsen oder Softdrinks.

    • Schellack (E 904): Das natürliche Trenn- und Überzugsmittel stammt aus den harzigen Ausscheidungen der Lackschildlaus und wird oft als Schutzschicht auf Obst wie Äpfel, Melonen oder Zitrusfrüchte aufgebracht.

    • Bienenwachs (E 901): Auch Bienenwachs ist ein Produkt, dass direkt von Insekten stammt und neben der Verwendung als Überzugsmittel auch als Trübungsmittel in Limonaden zugelassen ist.

Übrigens: Trotz größtmöglicher Vorsicht ist nicht auszuschließen, dass Bestandteile von Insekten bei der Verarbeitung von natürlichen Lebensmitteln miteingebracht werden. Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat dafür zum Teil erstaunlich hoch anmutende Grenzwerte. So sind für Teigwaren in den USA bis zu 225 Insektenteile pro 225 Gramm Teigwaren zugelassen – also 1 Teil pro Gramm. Bei Schokolade sind pro 125 g bis zu 74 Insektenteile erlaubt. Und gemahlener Pfeffer darf sogar bis zu 475 Insektenteile pro 50 Gramm enthalten [11].

Quellen:

[1] https://www.thuenen.de/de/themenfelder/welternaehrung-und-globale-ressourcen/aktuelle-lage-der-welternaehrung

[2] https://www.thuenen.de/de/themenfelder/welternaehrung-und-globale-ressourcen/aktuelle-lage-der-welternaehrung

[3] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32015R2283

[4] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32018R0456

[5] https://www.lebensmittelverband.de/de/aktuell/insekten-in-lebensmitteln-das-muessen-sie-jetzt-wissen

[6] https://germany.representation.ec.europa.eu/insekten-lebensmitteln-die-fakten_de

[7] https://www.nationalgeographic.de/umwelt/2021/12/insekten-als-nahrungsmittel-die-proteinquelle-der-zukunft

[8] https://www.fao.org/3/i3253e/i3253e.pdf (S. 70 ff.)

[9] https://www.vzhh.de/sites/default/files/medien/136/dokumente/2018-04_vzhh_Verbraucherzentrale_Naehrwerte-von-Insekten.pdf

[10] https://www.dlg.org/de/lebensmittel/themen/publikationen/magazin-dlg-lebensmittel/insekten-als-nahrungsmittel

[11] https://food.r-biopharm.com/de/news/essbare-insekten-delikatesse-oder-allergierisiko/

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