Polonium – Die Geschichte hinter dem Element
Seit 125 Jahren hat es einen Namen, ist versteckt in Spezialanwendungen und berüchtigt als tödliches Gift – das chemische Element 84: Polonium.
Zu verdanken haben wir die Entdeckung des Elements der beharrlichen Forschung von Marie Curie, geborene Skłodowska, die 1898 das Uranerz „Pechblende“ genau analysierte und dabei auf zwei unbekannte Substanzen stieß. Schnell erhärtete sich ihre Vermutung, dass Curie zwei neue chemische Grundbausteine entdeckt hatte: die radioaktiven Elemente Radium und Polonium (benannt nach ihrer Heimat Polen). Für diese Arbeit erhielt die Forscherin 1903 als erste Frau den Nobelpreis für Physik, gemeinsam mit Henri Becquerel, der 1896 die Radioaktivität entdeckt hatte [1].
Ein seltenes Element
Heutzutage sind 27 Isotope von Polonium bekannt mit Massenzahlen von 192 bis 218 – allesamt radioaktiv. Die Halbwertszeiten reichen dabei von Sekundenbruchteilen, bis hin zu 105 Jahren für das stabilste Isotop Polonium-209. Das in der Natur am häufigsten vorkommende Isotop ist aber Polonium-210 (Po-210) mit einer Halbwertszeit von 138 Tagen [2]. „Häufig“ ist hier allerdings relativ zu sehen, da Polonium zu den seltensten Elementen unseres Planeten gehört: Schätzungsweise 0,2 Nanogramm Polonium befinden sich im Durschnitt lediglich in einer Tonne Erde [3] – also rund 10 000 000-mal weniger als das durchschnittliche Goldvorkommen in der Erdkruste (4 Milligramm pro Tonne).
Obwohl heutzutage die Herstellung von Polonium nicht mehr wie zu Zeiten von Marie Curie über eine chemische Abtrennung aus Pechblende geschieht, bleibt die technische Gewinnung des radioaktiven Elements aufwendig und teuer. Dazu wird stabiles Bismut-209 im Kernreaktor mit Neutronen bestrahlt, wobei radioaktives Bi-210 entsteht, welches mit einer Halbwertszeit von fünf Tagen zu Po-210 zerfällt. Auf diesem Wege lässt sich Polonium in Milligramm-Mengen herstellen, wobei die tatsächliche Jahresproduktion auf rund 100 Gramm weltweit geschätzt wird [4].
Wozu wird Polonium-210 verwendet?
Die Anwendungen des Elements sind folglich auf einige Spezialfälle beschränkt. Hauptsächlich findet Po-210 Einsatz in Antistatikelektroden oder -pinseln zur Eliminierung statischer Aufladungen, etwa bei industriellen Prozessen wie dem Walzen von Papier, der Herstellung von Kunststoffplatten oder dem Spinnen von synthetischen Fasern. Pinsel mit Po-210 werden z. B. verwendet, um angesammelten Staub von fotografischen Filmen und Kameralinsen zu entfernen. Die Strahlungsaktivität solcher Statikentferner beläuft sich in der Regel auf 0,01 bis 10 Giga-Becquerel (GBq), also bis zu zehn Milliarden radioaktive Zerfälle pro Sekunde [5]. Zum Vergleich: Die im Endlager Morsleben eingebrachten Radiumpräparate wiesen 2021 eine Aktivität von 180 000 GBq auf [6].
Neben der antistatischen Wirkung wurde auch die Wärmeproduktion von Po-210 genutzt. Das radioaktive Element gibt pro Sekunde so viele Alphateilchen ab, dass die von einem Gramm freigesetzte Energie 140 Watt beträgt, was in Satelliten als leichtgewichtige Wärmequelle für den Betrieb thermoelektrischer Zellen eingesetzt wurde. Die russischen Lunokhod-Rover, die zwischen 1969 und 1977 den Mond erforschten, nutzten Po-210-Wärmequellen, um ihre Systeme während der kalten Mondnächte auf Temperatur zu halten. Allerdings stellt die begrenzte Halbwertszeit hier einen erheblichen Nachteil dar, weshalb Polonium heute als Wärmelieferant in Weltraumtechnik keine Anwendung mehr findet [4].
Tödlich, aber harmlos
Große Aufmerksamkeit erhielt das radioaktive Metall 2006 durch den Tod des ehemaligen KGB-Offiziers Alexander Litwinenko, der mit Polonium vergiftet wurde. Zwar lässt sich die Substanz gefahrlos händeln, weil sie als reiner Alpha-Strahler nicht in der Lage ist, tieferes Gewebe zu schädigen (die Reichweite der emittierten Alphateilchen beträgt in Luft weniger als 4 Zentimeter, in menschlichem Gewebe wie der Haut weniger als 0,1 Millimeter). Wird technisch hergestelltes Po-210 aber als Reinsubstanz inhaliert oder über die Nahrung oder Flüssigkeit aufgenommen, ist es extrem giftig. Dann reichen schon kleine Mengen von schätzungsweise 0,1 µg aus für eine tödliche Wirkung [3].
Es braucht aber keinen geplanten Mordanschlag, um mit Polonium in Kontakt zu kommen. Tatsächlich sind wir alle täglich winzigen Spuren von Po-210 ausgesetzt, die allerdings so gering sind, dass sie keinen Schaden anrichten. Das in der Umwelt vorkommende Po-210 entsteht durch Zerfall von Radon-222 in der Atmosphäre und gelangt von dort auch auf die Erdoberfläche. Aufgrund dieses natürlichen Vorkommens nimmt der Mensch pro Jahr durchschnittlich 58 Bq Polonium-210 auf, also Material mit der radioaktiven Aktivität von 58 Zerfällen pro Sekunde. Da jede radioaktive Substanz eine spezifische Zerfallsrate hat (gekennzeichnet durch die Halbwertszeit) lässt sich aus dieser Angabe auch eine Masse berechnen. Für Po-210 ergibt sich aus 58 Bq eine Masse von 0,347 pg, und damit rund 1 000 000-mal weniger als die geschätzte tödliche Dosis von Po-210. Selbst der offizielle Strahlengrenzwert zum Schutz von Einzelpersonen ist auf natürlichem Wege unmöglich zu erreichen: Laut eines Beitrags vom Bundesamt für Strahlenschutz müsste ein Mensch ca. 833 Bq Polonium-210 pro Jahr über die Nahrung bzw. 303 Bq über die Lunge aufnehmen, um auch nur im Bereich der effektiven Folgedosis von 1 Millisievert (mSv) pro Jahr zu liegen – also 5- bis 14-mal mehr als bei der natürlichen Aufnahme über die Umwelt [3].
Besonders hoch ist die Po-210-Konzentration übrigens in den Blättern der Tabakpflanze, die das Element über ihre Wurzeln aufnimmt und anreichert. Eine Zigarette enthält etwa 9 bis 15 mBq Polonium-210 [3]. Wer täglich ein bis zwei Zigaretten raucht, nimmt damit bereits rund zehn Prozent der natürlichen Jahresmenge an Po-210 auf.
Der Entdeckerin des Poloniums war das alles jedoch noch nicht bekannt. Marie Curie starb 1934 im Alter von 66 Jahren an einer seltenen Form von Leukämie – die wohl auch eine Folge ihrer Forschung an Polonium und Radium war.
Quellen:
[2] https://www.spektrum.de/lexikon/physik/polonium/11498
[3] https://www.bfs.de/DE/themen/ion/wirkung/radioaktive-stoffe/polonium/polonium_node.html
[4] https://www.iaea.org/sites/default/files/faqs_2006_-_polonium-210.pdf
[5] https://amstat.com/staticmaster/
[6] https://www.bge.de/de/morsleben/kurzinformationen/radioaktive-abfaelle-im-endlager-morsleben/