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7. September 2017
Was Spinnen zum Bau ihrer Netze verwenden, ist auch für uns Menschen ein nützliches Hochleistungsmaterial. Forscher haben es bereits für bioabbaubare Textilien und gut verträgliche Implantate getestet. Doch wie viel Spinne steckt am Ende wirklich in einem Stück Stoff?
Der Morgentau lässt das sonst nahezu unsichtbare Kunstwerk im Licht glitzern wie ein Silbercollier. Gleißende Perlen zittern im morgendlichen Windhauch, fragil befestigt an zartesten Fäden, die man jeden Moment fürchtet zu zerreißen …
Aber sie reißen nicht. Denn Spinnennetze sehen nicht nur beeindruckend aus, sie sind auch ein Paradebeispiel für natürliche Hochleistungsmaterialien. Schließlich muss die Spinne mit ihrem filigranen Netz Insekten aus dem Flug abbremsen, ohne dass ihre Beute die Falle durchschießt wie ein Pfeil. In Jahrmillionen der Evolution haben Spinnen diese Aufgabe gemeistert. Obwohl ihre Seide so dünn ist, dass schon 320 Gramm davon ausreichen würden, um einen Faden einmal rund um die Erde zu spannen, haben viele ihrer Beutetiere keine Chance gegen das Spinnennetz. [1] Denn Spinnenseide vereint hohe Dehnbarkeit mit großer Reißfestigkeit und ist damit um ein Vielfaches belastbarer als Stahl. Ließe sich ein Seil mit einem Zentimeter Durchmesser aus Spinnenseide herstellen, würde dies erst bei einer Last von acht Tonnen reißen – könnte also problemlos fünf Mittelklasseautos halten. [2]
Was Spinnen scheinbar mühelos zu filigranen Insektenfallen verweben, stellt Forscher seit Jahrzehnten vor Herausforderungen. Erst mit den modernen Analysemethoden dieses Jahrtausends ist es gelungen, die entscheidenden Geheimnisse der Spinnenseide zu entschlüsseln.
Hochleistungs-Kompositmaterial mit vielen Gesichtern
Heute wissen wir, dass Spinnenseide aus verschiedenen Arten von Proteinen besteht, deren jeweilige Kombination die Eigenschaften der Fäden definiert. Spinnen können so bis zu sieben unterschiedliche Fadentypen produzieren. Die stützenden Streben eines Radnetzes sind beispielsweise aus Proteinen zusammengesetzt, welche hauptsächlich faltblattartig zusammen gelagert sind. Dies macht sie zwar vergleichsweise unflexibel, die aufgebauten Strukturen sind aber besonders stabil. Die elastischen Klebefäden im Zentrum des Netzes hingegen basieren hauptsächlich auf Helices, also spiralförmig aufgedrehten Proteinen, und sind hierdurch dehnbarer und reißfest. Durch gezielte Kombination der unterschiedlichen Proteine ist die Spinne in der Lage, die makroskopischen Eigenschaften ihrer Seide anzupassen – sie stellt im Grunde ein Hochleistungs-Kompositmaterial her. [2]
Da ist es nicht verwunderlich, dass zahlreiche kluge Köpfe versucht haben, die Vorteile der Spinnenseide auch für den Menschen nutzbar zu machen. Im Gegensatz zu Raupen des Seidenspinners (Bombyx mori) eignen sich Spinnen allerdings nicht für die Zucht, da sie überwiegend kannibalisch veranlagt sind und nur in kleinen Gruppen gehalten werden können. Und selbst, wenn es durch „Melken“ der Spinnen gelingt, an ihre Seide zu gelangen, ist dies mit enormem Aufwand verbunden. So gibt es im Victoria and Albert Museum in England einen rund zwei Quadratmeter großen Schal aus Spinnenseide, für den 75 Arbeiter vier Jahre lang über 1,5 Millionen Spinnen gesammelt und gemolken haben, um genug Seide zu gewinnen. [7]
Eine industrielle Verwendung von Spinnenseide war unter diesen Voraussetzungen lange Zeit schlicht unmöglich. Etwa seit den 1980er Jahren nahmen daher Bestrebungen Gestalt an, das genetische Programm zur Produktion von Spinnenseide in andere Organismen wie Bakterien oder Hefen zu übertragen, um mit ihnen den begehrten Werkstoff herzustellen – und viele Jahre der Forschung führten schließlich zum Erfolg. [3]
Die erste Spinnenseide aus dem Labor…
Die nach eigenen Angaben „erste Spinnenseiden-Faser, die biotechnologisch erzeugt wurde und naturidentische mechanische Eigenschaften aufweist“, [4] stammt aus einem Forschungsverbund mit Beteiligung eines Teams um Dr. Thomas Scheibel von der Universität Bayreuth. Unter dem Namen „Biosteel“ stellten die Wissenschaftler in Kooperation mit der Firma AMSilk im Jahr 2013 mithilfe gentechnisch veränderter E. coli Bakterien künstliche Spinnenseide her. Ein eigens entwickeltes Verfahren ermöglichte es dabei, die Eigenschaften künstlicher Spinnenseide im Industriemaßstab den gewünschten Anwendungen anzupassen, etwa für medizinische und pharmazeutische Produkte, Kosmetika, Verbundwerkstoffe und technische Textilien. [4] [5]
…landete in einem Schuh
Die hierdurch produzierten Fasern sind nach Angaben der Entwickler bis zu 15 % leichter als herkömmliche Synthetikfasern und sollen 25-mal so belastbar sein wie ein vergleichbarer Stahldraht. Die Fasern lassen sich nach Aussagen der Forscher zudem mit Standardfärbetechniken einfärben, was sie besonders für die Textilindustrie interessant macht. Dazu erfüllt das Material auch die Vorgaben für die Definition von Bioabbaubarkeit nach der OECD Norm 301B, ist also als „leicht biologisch abbaubar“ zu definieren. [3] Mit diesem Stoff produzierte der Sportartikelhersteller Adidas 2016 einen Laufschuh, dessen Obermaterial vollständig aus den Biosteel-Fasern bestand und somit bioabbaubar war. [10] Der Prototyp wurde auf der Biofabricate-Konferenz in New York vorgestellt, kam aber letztlich nie in den freien Handel. AMSilk wiederum beliefert nun die Automobilindustrie mit Stoffen aus biotechnologisch erzeugtem Spinnenseidenprotein, die für die Innenausstattung künftiger Edelkarossen verwendet werden sollen. [11]
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Tarnmantel für Implantate
Während die Modebranche also noch auf den Durchbruch von Spinnenseide-Gewebe wartet, stehen die Vorzeichen in einem anderen Bereich deutlich besser. So haben Forscher der Universitäten Bayreuth und Erlangen-Nürnberg 2017 erfolgreich Spinnenseidenprotein hergestellt und darauf Bindegewebszellen und Blutgefäßzellen gezüchtet. Langfristig soll sich so funktionelles Herzgewebe erzeugen lassen. [6]
Ein großer Vorteil der Spinnenseide ist dabei ihre antibakterielle Wirkung. Sie ist von Natur aus keimfrei und wurde deshalb bereits in der Antike für Wundverbände eingesetzt, wie der Biochemiker Dr. Thomas Scheibel von der Universität Bayreuth in einem Radiointerview mit dem SWR berichtet. Die meisten Spinnenseiden seien zudem für das Immunsystem regelrecht unsichtbar und würden keinerlei Entzündungs- oder Abstoßungsreaktionen hervorrufen. Das mache sie zu idealen Kandidaten für medizinische Anwendungen, etwa für Knochen- und Knorpelersatz sowie zur Regeneration von Weichgewebe wie Herzmuskel, Haut oder Nerven. [7] Durch Beschichtung mit Spinnenseidenprotein haben Wissenschaftler in ersten Versuchen bereits Silikonimplantate bioverträglich gemacht: Das Immunsystem des Körpers lässt sich von der biokompatiblen Spinnenseide auf der Implantatoberfläche täuschen und eine unerwünschte Immunantwort bleibt aus. [8]
Fazit
Aktuell nutzt die Forschung für solche Experimente noch überwiegend natürlich gewonnene Spinnenseide. Während dieses Vorgehen für wissenschaftliche Studien mit vertretbarem Aufwand verbunden ist, sind industrielle Anwendung zwingend auf die eingangs beschriebene technische Produktion der Spinnenseidenproteine angewiesen. Die Forschung hat bereits gezeigt, dass eine solche Produktion möglich ist – nun gilt es, die Verfahren weiter zu optimieren und eine rentable, großindustrielle Herstellung zu ermöglichen.
Im Februar dieses Jahres wurde die Produktion eines Spinnenseidenproteinfadens durch eine künstlich hergestellte Düse publiziert, die aus einer Lösung von Spinnenseidenprotein eine Faser sehr ähnlich derjenigen von lebenden Spinnen produzieren kann. [9] Und auch die Kosmetikindustrie setzt in teure Cremes bereits biotechnologisch produzierte Spinnenseidenproteine ein. Lässt sich die Produktion kostengünstig upscalen, könnten künftig viele Bereiche unseres Alltags von den herausragenden Eigenschaften der Spinnenseide profitieren, ob im Sportschuh, in Kosmetika, in der Architektur oder im medizinischen Implantat.
Video-Tipps:
Warum Spinnenseide so besonders ist | Terra X plus (Youtube)
Thomas Scheibel – Künstliche Spinnenseide (Youtube)
Quellen:
[1] https://www.swr.de/swr2/wissen/article-swr-11664.html
[2] https://www.int.fraunhofer.de/content/dam/int/de/documents/EST/EST0514S106.pdf
[3] https://www.kunststoffe.de/a/news/die-natur-als-vorbild-kuenstliche-spinne-267262
[4] https://www.presse.uni-bayreuth.de/de/archiv/2013/050-Hochleistungsmaterialien-Spinnenseide.pdf
[5] https://www.munich-startup.de/57476/amsilk-success/
[6] https://www.derstandard.at/story/2000062644204/mit-spinnenseide-zum-kuenstlichen-herzmuskelgewebe