Labvolution 2023 – Wir sagen Danke!
12. Mai 2023
Wie der zirkadiane Rhythmus das Wohlbefinden und somit unsere Gesundheit beeinflusst.
Wir haben sie sehnsüchtig erwartet, die Boten des Frühlings. Die ersten Vögel kehren aus ihren Überwinterungsgebieten zurück und Narzissen und Krokusse stecken ihre Köpfe aus der Erde. Und schon fühlen wir uns viel besser. Die Müdigkeit des letzten Winters scheint wie weggewischt zu sein und wir sind wieder voller Tatendrang.
Dunkelheit macht uns müde
Wir sprechen oft davon, eine innere Uhr zu haben, die uns zum Beispiel morgens bereits vor dem Wecker aus dem Schlaf holt. Wir haben sie tatsächlich, und diese innere Uhr hat ihren Sitz in unserem Gehirn und besteht, vereinfacht gesagt, aus vielen Bündeln von Nervenzellen. Sie steuert die vielfältigen Biorhythmen des menschlichen Körpers, und Licht ist der wichtigste äußere Taktgeber dieser Uhr.
Das wichtigste ‚chronobiologische‘ Zentrum ist der Nucleus suprachiasmaticus. Dieser ist Bestandteil des Hypothalamus und spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation des zirkadianen Rhythmus in Säugetieren. Dabei greifen gleich mehrere Mechanismen, z.B. die Hell/Dunkel-Rezeption aus dem Auge und eine selbstregulierte periodische Proteinproduktion.
Kleiner Exkurs in die Welt unseres Steinzeitgehirns
In der Retina von Säugetieren gibt es spezielle Zellen, die große Mengen des lichtempfindlichen Proteins Melanopsin enthalten. Diese Zellen merken also, ob es hell oder dunkel ist, und senden über den Sehnerv afferente Reize in den erwähnten Nucleus suprachiasmaticus. Von hier aus wird die Information zunächst zu ‚sympathischen Wurzelzellen‘ im oberen Brustmark geleitet und von dort über den Halsteil des Sympathikus wieder kopfwärts zum ‚Ganglion cervicale superius‘, einem von drei Nervenknoten in der oberen Halsregion. Von hier wird die Information zur Epiphyse (Zirbeldrüse) geschickt, die wiederum Melatonin produziert und ausschüttet.
Bei Fischen, Amphibien, Reptilien und vielen Vögeln ist die Zirbeldrüse übrigens als Scheitelauge noch selbst lichtempfindlich und ‚merkt‘ selbst, ob es hell oder dunkel ist. Nur bei Säugetieren gelangt die Information vom Auge über die Brust ins Gehirn.
Helligkeit unterdrückt die Melatoninausschüttung. Das heißt, je dunkler unsere Umgebung ist, desto mehr Melatonin wird produziert und von der Zirbeldrüse freigesetzt. Dieses Melatonin sorgt dafür, dass wir uns, ganz unabhängig von der Tageszeit, müde und schläfrig fühlen. Schlicht, weil uns Licht und Sonne fehlen.
Gut zu wissen, dass unser Körper den Novemberblues also ganz allein wieder in den Griff bekommt und unsere gute Laune mit den länger werdenden Tagen automatisch wieder zurückkehrt.
Der zirkadiane Rhythmus und die Fruchtfliegen.
Bereits in den 1970er Jahren forschten Seymour Benzer und sein Schüler Ronald Konopka daran, diejenigen Gene zu identifizieren, die den zirkadianen Rhythmus bei Fruchtfliegen steuern. Im Jahr 2017 erhielten Jeffrey C. Halle, Michael Rosbash und Michael W. Jung den Nobelpreis für Medizin für ihre Arbeit an Biorhythmus-steuernden Molekülen. Auch sie forschten an Fruchtfliegen und fanden heraus, dass es Proteine gibt, deren Menge in den Zellen periodisch auf und abgebaut wird. Und diese periodisch exprimierten Proteine gibt es von Drosophila bis zum Menschen. Parallel zu der oben beschriebenen Hell/Dunkel-Rezeption erfolgt nämlich im Nucleus suprachiasmaticus eine rhythmische Transkription von Genen wie beispielsweise PER1, einem Protein der Period-Proteinfamilie. PER1 hemmt die eigene Produktion nach dem Prinzip der negativen Rückkopplung und wird hierdurch in einer etwa 25-stündigen Periode oszillierend exprimiert.
Wie die Hell/Dunkel-Information und die Wirkung der Rhythmus-Proteine zusammenhängen ist noch nicht ganz klar; vermutlich beeinflussen sich die Prozesse gegenseitig, beispielsweise, indem die Hell/Dunkel-Information den – ja eigentlich zu langen – 25-Stunden Biorhythmus immer wieder nachreguliert. Wenn wir uns konstant in Helligkeit oder Dunkelheit befinden, wie z.B. im nordischen Winter oder Sommer, werden wir also trotzdem durch den Rhythmus der Period-Proteine irgendwann müde bzw. wach.
Wir wissen heute, dass die Zellen praktisch aller Tiere, einschließlich des Menschen, einen ähnlichen Mechanismus nutzen, um zirkadiane Rhythmen zu erzeugen. Ein großer Teil unserer Gene wird durch die biologische Uhr reguliert und ein sorgfältig kalibrierter zirkadianer Rhythmus passt unsere Physiologie an die verschiedenen Tagesphasen an. So werden auch Cortisol, Blutdruck und Körpertemperatur über den zirkadianen Rhythmus gesteuert.
Lerche oder Eule
Wir alle kennen Beispiele: Es gibt Menschen, die morgens schon voller Energie stecken, und natürlich diejenigen, die bis abends spät in Hochform sind. Aber es gibt offensichtlich auch echte Mischformen, wie unter anderem ein Team von russischen Forschern 2014 in seinem Schlaflabor herausfand.
Bei ihren Tests an 130 Freiwilligen, deren 24-Stunden-Zyklus sie überwachten, ergaben sich bei der Auswertung am Ende nicht zwei, sondern eindeutig vier Gruppen: die Lerchen und die Eulen, deren Aktivitätszyklen um rund zwei Stunden verschoben lagen, sowie zwei weitere Chronotypen. Eine dieser Gruppen fühlte sich eher immer wach und aktiv, die zweite ständig schlapp und müde. Im Gespräch für passende Bezeichnungen sind inoffiziell etwa »Dodo« und »Schwalbe« – andere Forscher vermuteten allerdings schon, dass individuelle Unterschiede zwar existieren, wir im Mittel aber alle eher Durchschnittsdrosseln sind.
Es gibt auch einen sozialen Jetlag
Die Frühaufsteher tun sich oft schwer mit abendlichen, ausgiebigen Treffen mit Freunden. Wohingegen abendaktive Menschen häufig Probleme damit haben, morgens früh in der Schule oder am Arbeitsplatz zu sein.
Der Chronobiologe Till Roenneberg hat hierfür den Begriff des sozialen Jetlags geprägt. Gemeint sind damit das Phänomen und seine Folgen, wenn Menschen dauerhaft gegen ihre innere Uhr leben. Die Folgen für ihre Gesundheit ähneln denen, die durch den Jetlag entstehen, der durch Zeitverschiebung den Körper belastet. Auch der soziale Jetlag kann zu Erschöpfung, einem geschwächten Immunsystem, herabgesetzter Reaktionsfähigkeit oder reduzierter Merk- und Konzentrationsfähigkeit führen.
Damit der Kreislauf rund läuft
Mit kleinen Routinen und angepasstem Verhalten können wir dafür sorgen, dass unser zirkadianer Rhythmus wieder rund läuft und wir uns nachhaltig besser fühlen.
Hierzu ist es hilfreich, auch am Wochenende konsistente Schlaf-/Wachrhythmen einzuhalten, Koffein, Alkohol und Nikotin am besten zu meiden und die großen Mahlzeiten nicht zu spät am Tag einnehmen. Das Schlafzimmer sollte man dunkel halten und auf abendliches blaues Licht von elektronischen Devices verzichtet man im Idealfall. Wem es dann noch gelingt, ein entspanntes Ritual vor dem Schlafengehen einzuführen, der darf nicht nur auf einen erholsamen Schlaf hoffen, sondern auch auf einen Tag mit dem richtigen Energielevel, weil der Körper wieder richtig getaktet ist.
Quellen:
https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/2017/press-release/
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.3109/07420528.2012.719971