Mit allen Wassern gewaschen
30. März 2021
Mögen Sie Mikroben? Oder lässt Sie allein schon der Gedanke an solche winzigen Lebensformen zur Desinfektionsflasche greifen? Bakterien & Co. haben ein furchtbar schlechtes Image. Tägliche Nachrichten über Epidemien und gefährliche Krankheitserreger machen Mikroorganismen zu unseren Angstgegnern. Hygiene wird großgeschrieben und „antibakteriell“ klingt für die meisten Menschen positiv. Selbst Privathaushalte rüsten zur Schlacht gegen die winzigen Mitbewohner und manche sind schon keimärmer als ein OP-Saal!
Glaubt man den
Warnungen von Naturschützern und Wissenschaftlern verursachen die Menschen
gerade das größte Artensterben seit dem Aussterben der Dinosaurier, indem wir
in die letzten unberührten Regionen vordringen. Dazu gehören auch die kleinsten
Lebewesen im Mikrokosmos unsers Alltags.
Forscher des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)
rücken in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution den Fokus gerade auf
ein Ökosystem, das bisher verborgen vor unseren Augen existiert – in unseren
Wohnungen und Häusern.
Hier leben Mikroben mit uns Haut an Haut und auch in unseren Körpern. Mehr als
zweihunderttausend Mikroorganismen sind dort bisher bekannt. Allein auf unserer
Haut leben tausende Bakterien, in unseren Wohnungen gut 40.000 Arten von
Pilzen.
Mit scharfen Waffen wie Desinfektions- und Badewannenspray oder Antibiotika führen
wir einen täglichen Kampf im Lebensraum Haus – ohne bisher langfristig zu
wissen, welche Konsequenzen es am Ende für uns hat. Wir putzen zu viel und schaden
damit womöglich einem Ökosystem, welches uns gesund erhält.
Artenvielfalt macht Lebensräume widerstandsfähiger
Schon lange
interessieren sich Wissenschaftler für die Widerstandsfähigkeit in größeren
Lebensräumen wie Wiesen und Wäldern gegen Schädlinge, Klimaschwankungen oder
auch Krankheitserreger. Fazit dieser Studien: je höher die Vielfalt der Arten,
desto eher können solche Störungen toleriert werden, weil nie alle Arten
gleichzeitig betroffen sind.
Ziel der Forscher ist es nun, herauszufinden, ob diese Stabilitätstheorie auch für die Welt im Mikrokosmos gilt. Das hätte
weitreichende Folgen für unsere Gesundheit.
So stören wir womöglich durch unsere Eingriffe in die mikrobielle
Artenzusammensetzung unserer Umwelt, dass Krankheitserregern ganz natürlich eingedämmt
werden. Wie Pflanzen und Tiere konkurrieren auch Mikroben in einem dicht
besiedelten, artenreichen Raum um die vorhandenen Ressourcen. Neue Arten fassen
daher schwerer Fuß. Ist der Lebensraum aber sowieso gestört, dann können sich
schädliche Neuankömmlinge viel besser ausbreiten.
Mikroben schützen vor Krankheitserregern
Der Effekt, dass sich Krankheitserreger in artenarmen Ökosystemen schneller ausbreiten können, wurde schon mehrfach von Experten für die Mikrowelt beschrieben. So können Stäbchenbakterien der Art Clostridium difficile besonders gut Darmentzündungen mit Durchfall auslösen, wenn anfällige Menschen vorher eine Antibiotikatherapie bekamen.
Ein anderes Beispiel finden wir in jeder Dusche. In den Duschköpfen bilden sich schnell Biofilme aus krankheitsauslösenden Bakterien, sogenannte Nichttuberkulöse Mykobakterien. Besonders in Regionen, in den Wasser gechlort wird, treten diese Biofilme häufiger auf. Die Mykobakterien breiten sich zudem besonders gut auf metallenen Duschschläuchen aus.
Aber auch unsere Küchenschwämme passen in diese Reihe. Nach einer Studie von Forschern der Hochschule Furtwangen, der Justus-Liebig Universität und dem Helmholtz-Zentrum München. In gebrauchten Küchenschwämmen stellten die Wissenschaftler Bakterienkonzentrationen fest, wie sonst nur in Fäkalproben. Wurden die Schwämme nur mit heißem Wasser ausgewaschen oder in der Mikrowelle behandelt, stieg gerade der Anteil der für uns gefährlichen Bakterien an. Daher bleibt bisher nur ein regelmäßiges Austauschen der Schwämme als effektive Hygienemaßnahme.
Zum Abschluss
aber noch ein positives Beispiel. Eine besonders hohe mikrobielle Artenvielfalt
in unseren Wasserleitungen ist für uns sogar sehr nützlich. Unser Trinkwasser
ist keinesfalls steril. In jedem Glas Leitungswasser tummeln sich bis zu 10
Millionen unerkannter Bakterien, wie Forscher der Universität Lund entdeckten.
Mit anderen Mikroben bilden sie in den Rohrleitungen „Schleimstädte“-
symbiontische Lebensgemeinschaften mit anderen Pilzen, Algen und Protozoen. Es
sind vor allem diese guten Bakterien, die dabei helfen unser Trinkwasser zu
reinigen und gegen Krankheitserreger zu schützen. Nach Schätzungen leben bis zu
1000 verschiedene Bakterienarten in den Wasserleitungen z.B. die Sphingomonadaceae. Diese Gruppe baut
fleißig Schadstoffe ab wie z.B. giftige Aromate.
Schöner und gesünder wohnen mit Mikroben:
Was heißt das nun für unser Zusammenleben mit Haushaltskeimen? Nur ganz wenige von ihnen lösen Krankheiten aus. Die meisten helfen uns sogar, gesund zu bleiben. Wir sollten nützliche Keime sogar in unseren Räumen behalten, ja, sie sogar regelrecht kultivieren. Mehr Mut zu etwas gesundem Dreck! Auch wenn das natürlich bei den meisten ein Umdenken in puncto Reinlichkeit oder Hygiene bedeutet.
Öffnen Sie also Ihre Türen und Fenster und lassen Sie etwas mehr mikrobielle Artenvielfalt in Ihre vier Wände. Dies sorgt für ein gesundes und stabiles Gleichgewicht in der Zusammensetzung der Mikroorganismen. Lüften Sie regelmäßig, stellen Sie Zimmerpflanzen in Ihre Wohnung, halten Sie einen Hund oder eine Katze! Haustiere sind eine Quelle guter Mikroben. Desinfektionsmittel sind im normalen Haushalt völlig unnötig. Zum Putzen sind drei Standardreiniger ausreichend: Neutralreiniger, Zitronensäure oder Essig sowie Scheuermilch für hartnäckige Verschmutzungen.
Viele weitere Anregungen, wie Sie Ihren heimischen Mikrobenzoo hegen und pflegen können und dabei gesund bleiben, finden Sie zum Weiterlesen in meinem aktuellen Sachbuch „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Türklinke – Wie Mikroben unseren Alltag bestimmen“ (Heyne Verlag, 2019,).
Originalpublikation:
Dunn, R. R., Reese, A. T., & Eisenhauer, N. (2019). Biodiversity-ecosystem function relationships on bodies and in buildings. Nature Ecology & Evolution, 3(1), 7-9. doi:10.1038/s41559-018-0750-9
Über die Autorin:
Susanne Thiele ist Mikrobiologin und Wissenschaftsautorin. Wenn sie keine Sachbücher schreibt, leitet sie die PR-Abteilung am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig, schreibt für Zeitungen und Journale oder auf ihrem Blog, „Mikrobenzirkus“ (als Wissenschaftsblog 2018 ausgezeichnet).
Blog: www.mikrobenzirkus.com Twitter: @mikrobenzirkus Facebook: @mikrobenzirkus Instagram: @mikrobenzirkus