Wie lassen sich Lungentumore effizienter bestrahlen?


Eine Krebsdiagnose ist immer ein Schock. Zu Recht. Denn insbesondere dann, wenn der Tumor erst spät erkannt wird oder besonders aggressiv ist, droht noch immer ein tödlicher Verlauf. Krebs gehört weltweit zu den häufigsten schweren Erkrankungen. Doch die Behandlungsmöglichkeiten einiger der rund 300 derzeit bekannten Krebsarten haben in den letzten Jahrzehnten z.T. erhebliche Fortschritte gemacht. Verbesserungen bei der Früherkennung der Tumore und neue oder weiterentwickelte Therapiemethoden haben entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen. Ein Beispiel ist die Strahlentherapie, bei der Tumorgewebe durch energiereiche Strahlung gezielt zerstört wird. Verbesserte Methoden haben dazu geführt, dass sich einige Krebsarten damit recht erfolgversprechend behandeln lassen und Nebenwirkungen durch die sehr gezielte Behandlung des tumorösen Gewebes gering sind.

Entscheidend dabei ist jedoch, dass der Tumor exakt erfasst und die Behandlung nicht durch Bewegungen des Patienten beeinträchtigt wird. Lungenkrebs stellt dabei eine Besonderheit dar, denn der Patient muss atmen – auch während der Strahlentherapie. In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 57.000 Menschen an Lungenkrebs. Bei Männern ist Lungenkrebs nach Prostatakrebs die zweithäufigste Krebserkrankung. Bei Frauen ist er nach Brust- und Darmkrebs die dritthäufigste Krebsform. Bei der Strahlentherapie von Lungenkrebs reduziert die Bewegung des Tumors beim Atmen die Erfolgsaussichten und schädliche Nebenwirkungen wie die strahlenerzeugte Verletzung von gesundem Nachbargewebe lassen sich praktisch nicht vermeiden. Wie lässt sich dieses Problem bewältigen?

Strahlentherapie und das Problem der Bewegung

Stefan Vilsmeier und Claus Promberger vom Münchner Unternehmen Brainlab arbeiten gemeinsam mit Prof. Dr. Cordula Petersen, Direktorin der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sowie Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie, an einer Lösung und wurden dafür Ende 2022 für den Deutschen Zukunftspreis nominiert. Das in Entwicklung befindliche Radiochirurgie-System basiert auf einer neuartigen Technologie, um die Patientenposition während der Strahlenbehandlung exakt zu erfassen.

Um zu gewährleisten, dass krankes Gewebe trotz seiner sich ständig ändernden Lage komplett vernichtet wird, definierten Mediziner bisher eine Sicherheitszone um den Tumor herum: den so genannten Motion-Envelope-Bereich. Er umfasst den gesamten Raum, den der Tumor während der Atembewegung durchstreicht. Der Nachteil: Auf diese Weise wird neben dem tumorösen auch gesundes Gewebe geschädigt. Um diese Nebenwirkungen möglichst gering zu halten, ist die maximale Dosierung der Strahlung bisher begrenzt, weshalb für die gesamte Therapie meist etliche Sitzungen erforderlich sind.

Höhere Effizienz bei weniger Nebenwirkungen

Das neue System zur Positionierung während der Behandlung schafft die Voraussetzung für eine wesentlich präzisere Zielführung des Strahls als das mit herkömmlichen Bestrahlungsgeräten möglich ist. Der Sicherheitsbereich um den Tumor fällt damit deutlich geringer aus. Zudem sollen sich mit der nächsten Version des Systems auch solche Tumore erkennen und zerstören lassen, die auf normalen Röntgenbildern kaum zu sehen oder durch die besonders kritische Lage im Körper für eine konventionelle Bestrahlung schlecht erreichbar sind.

Mit dem ExacTrac Dynamic® System entwickelte Brainlab zusammen mit Frau Prof. Petersen und ihrem Team vom UKE ein Positionierungssystem, das ergänzend zu so genannten Linearbeschleunigern – den eigentlichen Bestrahlungsgeräten – installiert werden kann. Es besteht aus einer Trackingkamera, zwei Röntgeneinheiten und einem Steuercomputer inklusive Software. Die Trackingkamera kombiniert eine Oberflächen- mit einer Thermokamera. So werden die Bewegungen der Patientenoberfläche während der Strahlentherapie fortlaufend erfasst. Das Röntgensystem wiederum visualisiert die innere Anatomie der Patient:innen. Die Software überprüft mit all diesen Daten in Echtzeit die Position des Tumors basierend auf einem zuvor berechneten so genannten Korrelationsmodell. Der Behandlungsstrahl kann so entsprechend der Tumorposition genau kontrolliert werden, eine Schädigung des umliegenden gesunden Gewebes wird verringert. In der Konsequenz können höhere Strahlendosen in einem einzigen oder wenigen Bestrahlungsterminen verwendet werden. Aktuell wird dieses Konzept vor allem für die Behandlung von Tumoren im Gehirn, der Wirbelsäule, der Brust und der Prostata angewendet.

Als nächste Generation dieses Systems derzeit in Entwicklung befindet sich die Integration der Atembewegung in das Korrelationsmodell. Mit dieser neuen Version des ExacTrac Dynamic® Systems sollen (Lungenkrebs-)Patient:innen ausschließlich in einem gewissen „Atemfenster“ behandelt werden können, das während der Bestrahlung kontrolliert erreicht und gehalten werden muss. Dieses „Atemfenster“ entspricht der Position, in der sich der Tumor an exakt der Stelle befindet, an der er optimal bestrahlt werden kann. Entsprechend der Tumorbewegung kann der Behandlungsstrahl automatisiert an- und abgeschaltet werden. Dies gewährleistet, dass der Tumor nur dann bestrahlt wird, wenn er sich im geplanten optimalen Bereich befindet. Liegt er außerhalb dieses Bereiches, wird der Bestrahlungsstrahl abgeschaltet. Im Behandlungsfall der Lunge könnte so sichergestellt werden, dass gesundes Lungengewebe bestmöglich geschützt wird und die maximale Lungenfunktion erhalten bleibt. Gleichzeitig vermeidet diese Behandlungsmethode, dass andere gesunde Organstrukturen beeinträchtigt werden. Ziel der Forscher ist die Entwicklung eines komplett dynamischen Bestrahlungssystems, in dem die Patient:innen frei atmen können, während das System alle für die Behandlung relevanten Parameter in Echtzeit analysiert und Position und Bestrahlung entsprechend anpasst. Eine Entwicklung, die die Jury des Deutschen Zukunftspreises 2022 für nominierungswürdig befand – und die Patient:innen zu Recht Hoffnung macht.

Quellen:

https://www.deutscher-zukunftspreis.de/de/team-3-2022

https://www.brainlab.com/de/radiochirurgie-produkte/lung/

https://www.krebsinformationsdienst.de/tumorarten/lungenkrebs/ueberblick.php

https://www.staerkergegenkrebs.de/krebsarten/

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