Wieviel Hygiene hilft gegen Erreger?


Keime oberflächlich betrachtet: von Desinfektion bis Probiotik


Von der gesamten Biomasse des Planeten macht der Mensch lediglich 0,01 Prozent aus. Bakterien hingegen stellen 13 Prozent der Biomasse und sind uns in der Hinsicht deutlich überlegen. Wie die Mikroorganismen sich auf Oberflächen ansiedeln, was wir dagegen tun und lassen sollten, und wo der größte Keimherd zu Hause lauert, verrät dieser Blogbeitrag.


Wo man hinsieht, sind sie schon da: Bakterien. Die nur Mikrometer großen Prokaryoten gibt es nahezu überall. Tausend in einem Kubikmeter Luft, Millionen in einem Teelöffel Seewasser, Milliarden in einem Kubikzentimeter Erde. [1] Und obwohl der überwiegende Teil der Bakterien für den Menschen ungefährlich oder sogar unersetzlich ist, bleibt die Sorge vor Keimen groß – in manchen Fällen durchaus berechtigt. Schließlich stehen Erreger, die dem Menschen schaden können, in einem ständigen Wettrüsten mit der Pharmaindustrie und den Herstellern von Desinfektionsmitteln. Es ist ein Kampf, der vor allem auf Oberflächen ausgetragen wird – dort, wo sich Bakterien festsetzen und überdauern, bis der nächste Finger sie aufnimmt und ihnen einen neuen Nährboden bietet. [1]


Biofilme – der Schutzschild der Mikroben

Zur Besiedelung von Oberflächen haben viele Bakterienarten einen Schutzmechanismus entwickelt, der ihre Überlebenschancen deutlich verbessert. Die Rede ist von so genannten Biofilmen. „Biofilme sind Lebensgemeinschaften von z. B. Bakterien, die sich an Oberflächen anheften und dort aufwachsen. Charakteristisch ist, dass die Zellen von einer mikrobiell induzierten Matrix – die Extrazelluläre polymere Substanz EPS – umgeben sind. Sie bieten der Population Schutz vor chemischen und physikalischen Umwelteinflüssen wie Desinfektionslösungen, Bioziden, Antibiotika oder Strahlung.“ Diese ausschnittsweise Definition von der Webseite des Fraunhofer Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) lässt erahnen, wie wichtig es sein kann, Biofilme gar nicht erst entstehen zu lassen. [2]

Für die Besiedelung einer Oberfläche gelten gewisse Voraussetzungen. Zunächst muss der Erreger in Kontakt mit der Oberfläche kommen. Wenn sich die ersten freischwimmenden planktonischen Zellen an eine Oberfläche heften, ist dies noch ein hoch reversibler Prozess, bei dem vor allem schwache van-der-Waals-Wechselwirkungen eine Rolle spielen. Sind die Bedingungen auf der Oberfläche geeignet – dazu gehören Materialeigenschaften aber auch Umgebungsbedingungen wie Wassergehalt, Temperatur oder Strömungsbedingungen – so bilden sich durch Zellteilung die ersten Monolayer und Mikrokolonien. Dabei bauen die Mikroben mithilfe spezieller Moleküle, den Adhäsinen, eine erste Bindung zur Oberfläche auf. Dieser Vorgang ist nur noch bedingt reversibel. Spätestens im nächsten Schritt, wenn die Bakteriengemeinschaft einen Schleim aus Polysacchariden produziert, ist die Kolonie irreversibel auf der Oberfläche haftend. Dann hilft laut Angaben des Fraunhofer IGB auch „kräftiges Spülen nicht mehr“, um die Mikroben zu entfernen. [3]

Adhäsine sind spezielle Moleküle, die Zell-Zell-Adhäsion ermöglichen oder Zellen beim Anhaften an Substrate unterstützen. Solche Adhäsionsvorgänge sind beispielsweise wichtig für die Bildung und den Erhalt von Geweben, aber auch für das Immunsystem relevant. So haften sich etwa Lymphocyten an bestimmte Gewebe im Körper, aber auch Krankheitserreger nutzen Adhäsine, um sich an die Epithelzellen des Wirts anzuheften und eine Infektion auszulösen. Zu den bakteriellen Adhäsinen zählen chemisch betrachtet Glykoproteine, Proteine oder Glykolipide der Zelloberfläche. [4]

Daher ist es entscheidend, die Biofilmbildung bereits in einem sehr frühen Stadium der Entstehung zu unterbinden, beispielsweise durch eine entsprechende antimikrobielle Ausrüstung der Oberfläche. Das IGB forscht dazu an verschiedenen Beschichtungen, in die etwa Biozide oder natürlich antimikrobielle Substanzen einbracht werden. Auch photokatalytisch aktive Oberflächen können eine antimikrobielle Wirkung aufweisen. Doch schon die einfache Beschichtung mit Kupfer kann sich bei der Abwehr von Erregern als nützlich erweisen.


Unattraktive Oberflächen für Keime

An der Medizinischen Universität South Carolina (MUSC) wurde getestet, welchen Einfluss kupferbeschichtete Türklinken auf die Krankenhaushygiene haben. Das Ergebnis des Tests: Die Infektionsgefahr sank um 40 Prozent, wenn Patienten in Räumen lagen, deren Türgriffe, Schalter usw. mit Kupfer beschichtet waren. [5] Der antibakterielle Effekt von Kupfer beruht darauf, dass es durch Korrosion Kationen an die Umgebung abgibt, die Bakterien schaden und deren Wachstum verhindern oder sie komplett abtöten. [6] Dabei greifen die Kupferionen zunächst die Zellwand der Bakterien an und schädigen die Zellmembran. Zwar benötigen die Mikroben zum Überleben Kupferionen und haben in ihrer Membran spezielle Ionenkanäle für deren Aufnahme aus der Umgebung. Die hohe Ionenkonzentration auf einer Kupferoberfläche sorgt jedoch für eine regelrechte Überflutung des Zellinneren, was toxische Reaktionen katalysiert und zur Degradierung der Bakterien-DNA führt. Das Cytoplasma läuft schließlich durch die angegriffene Membran aus und das Bakterium ist abgetötet. [7]

Besonders im Krankenhaus ist es von essenzieller Bedeutung, Erreger in Schach zu halten. Einerseits haben viele Patienten ein geschwächtes oder stark beanspruchtes Immunsystem und andererseits werden Keime in großer Zahl durch die Erkrankten eingebracht und können sich bei unzureichender Hygiene vermehren und ausbreiten. In Deutschland sterben nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts jedes Jahr 10 000 bis 20 000 Menschen an nosokomialen Infektionen, also an im Krankenhaus erhaltenen, beispielsweise multiresistenten, Erregern. [8]


Alternative Reinigung: Mehr Mikroben statt stärkerer Desinfektion

Entsprechend hoch ist der Aufwand für Hygienemaßnahmen im klinischen Umfeld. Durch regelmäßige Reinigung sowie gründliche Desinfektion zielt man darauf ab, die Keimzahlen im Krankenhaus gering zu halten. Dass Desinfektion das einzige oder auch das beste Mittel ist, um eine infektionsarme Umgebung zu realisieren, wird indes von einigen Experten in Frage gestellt. In einer Studie der Charité Berlin und des Uniklinikums Jena hatten Wissenschaftler bereits 2021 gezeigt, dass der Boden eines Zimmers bereits eine halbe Stunde nach Desinfektion wieder mit Mikroben besiedelt wird – darunter auch multiresistente Keime. In einer Folgestudie verglichen die Forscher dann klassische Desinfektionsmaßnahmen mit dem Einsatz eines probiotischen Reinigers. Dieser führte zu deutlich geringerem Auftreten von Resistenzgenen nach der Reinigung und könnte laut den Forschern eine probate Alternative zu der herkömmlichen Desinfektion sein. Der Reiniger unterstützt die Ausbildung einer harmlosen Mikrobengemeinschaft auf der Oberfläche, welche es gefährlichen Erregern schwerer macht, sich dort zu verbreiten, da Platz und verfügbare Nährstoffe bereits beansprucht werden. [9,10] Eine Strategie, die sich so mancher auch für den eigenen Haushalt merken könnte.

Es wäre hygienischer, von der Toilette zu essen als vom Ablaufventil der Spüle.


Dr. Philip M. Tierno, Director of Microbiology & Immunology at New York University, im Interview mit Nationalgeographic [11]


Tatsächlich ist die Toilette vergleichsweise wenig mit Bakterien besiedelt. Der unangefochtene Spitzenreiter im Haushalt ist der Spüllappen. [12]

Wieviel Hygiene hilft gegen Erreger?

Der Mensch als Teil der Mikrobengemeinschaft

Denn wie im Krankenhaus gilt auch im eigenen Badezimmer und der Küche, dass ein unsachgemäßer oder übermäßiger Einsatz von Desinfektionsmitteln eher schadet als nützt. So rät das Bundesministerium für Gesundheit von Produkten mit antimikrobieller Wirkung für zu Hause ab. Laut BMG ist die desinfizierende Wirkung entsprechender Haushaltsreiniger nicht immer erwiesen. Bei regelmäßiger Anwendung von Reinigungsmitteln mit verminderter Wirkung oder beim unsachgemäßen Einsatz von Desinfektionsmitteln können Mikroorganismen sogar unempfindlich gegenüber den Wirkstoffen werden. Auch belasten desinfizierende Reinigungsmittel die Umwelt und sind gesundheitlich bedenklich. [13]

Mit Ausnahme von immungeschwächten Personen oder zu Zeiten eines akuten Infektionsgeschehens wie der Corona-Pandemie kommen Menschen grundsätzlich gut mit den typischen Haushaltskeimen zurecht, sodass eine Desinfektion in der Regel nicht nötig ist. Denn eines ist klar: Eine keimfreie Umgebung wäre für uns weder gesund noch überhaupt zu realisieren. Schon weil wir selbst über die Haut und die Atemluft in jedem Moment zahlreiche Mikroorganismen an unsere Umwelt abgeben. Denn letztlich ist auch der Mensch für Mikroben nur eine weitere Oberfläche, die zur Besiedelung einlädt. [11]


Quellen:

[1] https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/sendung/2010/die-welt-in-zahlen-hygiene-100.html

[2] https://www.igb.fraunhofer.de/de/forschung/biofilme-und-hygiene/biofilme-charakterisierung-und-vermeidung.html

[3] https://www.igb.fraunhofer.de/de/forschung/biofilme-und-hygiene/biofilme-charakterisierung-und-vermeidung/biofilme.html

[4] https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/adhaesine/1054

[5] https://www.zentrum-der-gesundheit.de/bibliothek/sonstige-informationen/weitere-informationen/kupfer-keime

[6] https://news.rub.de/wissenschaft/2022-05-05-virologie-materialforschung-kupfer-wirkt-effektiv-gegen-sars-cov-2-auf-oberflaechen-silber-nicht

[7] https://copperpen.ch/pdf/solioz11a.pdf

[8] https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Krankenhausinfektionen-und-Antibiotikaresistenz/FAQ_Liste.html

[9] https://www.mdr.de/wissen/mikroben-putzen-statt-desinfektion-100.html

[10] https://www.clinicalmicrobiologyandinfection.com/article/S1198-743X(22)00109-4/fulltext

[11] https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2018/04/das-paradies-fuer-keime

[12] https://dock.centroplast.de/de/download/show/centroplast_broschuere_fl_centroguard_de.pdf

[13] https://gesund.bund.de/haushaltshygiene#putzen

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