Planetare Belastungsgrenzen: Das ganz große Gleichgewicht
1. März 2024
In Zeiten des Klimawandels muss sich auch die Mobilität verändern – so viel ist klar. Der klassische Verbrennungsmotor ist angezählt, Elektromobilität wird in Deutschland seit 2015 per Gesetz gefördert. Doch an öffentlich zugänglichen Ladestationen dauert es schlichtweg zu lange: Zwischen einem Tankstopp an der Zapfsäule und dem Laden einer Fahrzeugbatterie liegen zeitlich Welten. Hinzu kommt, dass das aktuell verfügbare Schnellladen die Batteriezellen enorm stresst und deren Haltbarkeit verringert – wohlgemerkt ein „Schnell“laden von immer noch bis zu 60 Minuten Ladedauer. Ein tatsächliches „Super-“ oder „Ultraschnellladen“, bei dem 80 Prozent der Batterie innerhalb von 10 Minuten aufgeladen werden, verbunden mit einer hohen Energiedichte und einer langen Haltbarkeit ist daher so etwas wie der „heilige Gral“ der Automobilindustrie für zukünftige nachhaltige Batterien.
Was aber ist das Problem?
Schnellladen überall und in wenigen Minuten?
Auf der technischen (Batterie-)Seite ist in den letzten Jahren bereits Schwung in den Markt gekommen. Zum Teil beruhen die neuen Produkte auf dem Material Graphen, für dessen Entwicklung 2010 der Nobelpreis verliehen wurde, aber auch bei herkömmlichen Lithium-Ionen-Akkus wurde ansehnliche Optimierungsarbeit geleistet. Ein asiatischer Automobilhersteller verspricht beispielsweise für eines seiner Modelle, es ließe sich an 800-Volt-Ladestationen, wie sie an deutschen Autobahnen stehen, in nur 18 Minuten von zehn auf 80 Prozent laden.
Aber es krankt an einer Ladeinfrastruktur, die das schnelle Laden bestenfalls zu jeder Zeit an jedem Ort möglich macht, denn die lokalen Stromnetze sind schlicht nicht flächendeckend ausgelegt für Ladeleistungen in der für das Ultraschnellladen erforderlichen Größenordnung bis zu 300 kW. Ein ‚UpGrade‘ des Stromnetzes, beispielsweise durch Anschluss an das übergeordnete, regionale Mittelspannungsnetz, erscheint notwendig – ein teures und zeitraubendes Verfahren, das mit der dringend notwendigen Wende hin zur nachhaltigen Mobilität kaum vereinbar ist.
Ein Spülkasten als Grundidee
Doch auch in diesem Bereich arbeiten Forschende mit Hochdruck an neuen Technologien. So auch Thomas Speidel, CEO und geschäftsführender Gesellschafter und Dr. Thorsten Ochs, Chief Technology Officer von ADS-TEC Energy sowie Stefan Reichert, Leiter der Forschungsgruppe Stromrichtereinheiten am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE gemeinsam mit ihren Teams. Aus einer Idee der Entwickler ist in intensiver Arbeit ein System namens „Charge Box“ entstanden, das so innovativ und vielversprechend ist, dass es der Forschungsgruppe eine Nominierung für den Zukunftspreis 2022 eintrug.
Die Entwicklung basiert auf einem Industrieprojekt im Auftrag eines großen Automobilherstellers. Ausgangspunkt war die Frage, wie man moderne E-Fahrzeuge mit sehr hohen Ladeleistungen in wenigen Minuten aufladen kann, auch wenn das Stromnetz am jeweiligen Ort nur einen Bruchteil der geforderten Leistung zur Verfügung stellt. „Die Antwort scheint einfach, ist aber am Ende in der Umsetzung sehr komplex“, sagte Thomas Speidel anlässlich eines Interviews zur Zukunftspreis-Nominierung. „Kerngedanke ist, dass man die Ladestation mit einem Speicher bzw. Puffer in Form einer eingebauten Batterie versieht. Dieser Speicher kann über das vorhandene Stromnetz mit der verfügbaren Leistung langsam aufgeladen werden. Kommt nun ein E-Fahrzeug und möchte schnell laden, wird die vom Netz verfügbare geringe Leistung mit Hilfe der zwischengespeicherten Energie in der Batterie so „geboostet“, dass dem Fahrzeug die Leistung angeboten werden kann, die es abfordert. Im Prinzip geschieht eine zeitliche Entkopplung mit Hilfe der Zwischenspeicherung.“ In Analogie entspräche das einem WC-Spülkasten, der langsam vollläuft, im Bedarfsfall aber in wenigen Sekunden entleert werden kann. Dem System genügt ein normaler Stromanschluss, wie er in Wohn- und Geschäftsgebäuden üblich ist – ein Aus- oder Umbau der Netzinfrastruktur ist nicht notwendig.
Eine echte Wende durch die „Charge Box“?
Das mögliche Szenario der Zukunft:
In einer kompakten Einheit, die nur rund anderthalb Quadratmeter Platz beansprucht, beinhaltet die Charge Box einen Batteriespeicher, einen sehr kompakten und leistungsstarken elektronischen Stromwandler sowie eine daran angepasste Kühleinheit. Der Speicher kann 140 Kilowattstunden Energie aufnehmen, die beim Laden an die angeschlossene Fahrzeugbatterie weitergegeben wird. Eine eigens entwickelte Leistungselektronik mit mehreren Wandlern sorgt für eine stufenweise Spannungsanpassung und damit für schnelles und sicheres Aufladen. Über zwei separate Anschlüsse lassen sich somit zwei Elektroautos gleichzeitig mit einer Ladeleistung von je 160 Kilowatt aufladen, wird nur eine Ladesäule verwendet, sind sogar bis zu 320 Kilowatt nutzbar. Eine gängige Fahrzeugbatterie mit 100 Kilowattstunden Kapazität lässt sich nach Angaben der Wissenschaftler auf diese Weise innerhalb von etwa 15 Minuten zu 80 Prozent mit Energie füllen, ohne dass das Stromnetz überlastet wird, da das Aufladen des Energiespeichers ja unabhängig vom Ladevorgang des E-Fahrzeuge erfolgt. Nach Einschätzung der Entwickler ließen sich mithilfe der Charge Box hunderttausende Büros, Gemeinden, abgelegene Standorte, Fahrzeugflotten, Mietwagenzentralen oder Innenstädte flächendeckend mit Schnellladern ausrüsten, ohne dass dazu die bestehenden Stromnetze erweitert oder umgebaut werden müssten.
Status Quo – Elektromobilität und Ladeinfrastruktur
In Norwegen, das als Vorreiter der Elektromobilität in der EU gilt, entfallen inzwischen 60 Prozent der Neuzulassungen auf vollelektrisch angetriebene Autos, weitere 15 Prozent auf Plug-in-Hybride.
In Deutschland will der Gesetzgeber durch Maßnahmen wie Umweltboni, zeitlich befristete Innovationsprämien bis hin zur Steuerbefreiung für Elektrofahrzeuge Kaufanreize schaffen. Tatsächlich wächst die Anzahl der E-Fahrzeuge auch hierzulande stetig: 2022 umfasste der Bestand an Personenkraftwagen mit reinem Elektroantrieb in Deutschland laut Kraftfahrt-Bundesamt bereits 618.460 Fahrzeuge, hinzu kamen noch einmal 565.956 Plug-in-Hybride. Der Anteil neu zugelassener PKW mit Elektroantrieb betrug allerdings nur 17,8 %, wobei ein Hauptargument vieler Käufer von Autos mit Verbrennermotor die fehlende Ladeinfrastruktur darstellt.
Diese Ladeinfrastruktur lässt sich aktuell in zwei Varianten einteilen: Das langsame Laden, auch „Level 2-Laden“ genannt, bis zu einer Leistung von 20 kW und das schnelle oder ultraschnelle Laden mit Ladeleistungen von über 300 kW. Mit einem Hausladegerät braucht man zwischen fünf und 15 Stunden, um eine durchschnittlich große Fahrzeugbatterie aufzuladen. Zuhause oder auf dem Parkplatz des Arbeitgebers noch machbar, ist dies auf der Urlaubs- oder Dienstreise oder für laufend benötigte Dienstfahrzeugflotten kaum praktikabel.
Ein flächendeckendes Schnellladesystem hingegen würde sowohl das Reichweitenproblem lösen, als auch die Notwendigkeit sehr großer Batterien reduzieren – Elektromobilität wäre folglich sogar günstiger und nachhaltiger. Denn die Herstellung der Batterien verbraucht große Mengen an Ressourcen: Geld, Energie, knappe Rohstoffe. Auch bei den Ladesäulen hat Norwegen innerhalb der EU die Nase vorn: 2021 war das Land im hohen Norden bereits mit rund 900 Schnellladestationen pro 100 Fernstraßenkilometer ausgestattet. In Deutschland waren es nicht einmal 100.
Bleibt zu hoffen, dass sich neue Technologien auf Batterie- wie Ladeseite durchsetzen und ihre Alltagstauglichkeit beweisen werden. Dass auch das beste E-Auto wertvolle Ressourcen verbraucht und zu dessen Nachhaltigkeit neben anderen Aspekten selbstredend auch gehört, dass der Strom aus echten erneuerbaren Energien generiert wird, steht außer Frage. Dennoch sind die hier beschriebenen Entwicklungen wichtige Schritte hin zu einer klimafreundlicheren Mobilität, die einer breiteren Masse zugänglich ist und von dieser akzeptiert wird. Denn Klimaschutz funktioniert nur, wenn bestenfalls alle mitmachen.
Quellen:
https://www.deutscher-zukunftspreis.de/de/team-2-2022
https://de.statista.com/themen/608/elektromobilitaet/#topicOverview