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20. Oktober 2023
Quantenpunkte bergen enormes Potenzial für eine ganze Fülle von Anwendungen von Technik bis Biomedizin und haben ihren Entdeckern in diesem Jahr zum Nobelpreis für Chemie verholfen. Erfahren Sie in unserem Artikel wie ihre Entdeckung und gezielte Synthese gelang und was die winzigen Partikel so besonders macht.
Es liegt in der Natur des Menschen, dass er vor allem versteht, was ihm – intuitiv und einer Art Urinstinkt folgend – logisch erscheint: Wasser ist flüssig und wirft Wellen, Steine sind hart und tun dies nicht. Logisch. Wirklich? In der Quantenwelt laufen die Dinge anders. Sobald die Größe von Materie in Nanometern (Millionstel Millimeter) gemessen wird, treten seltsame Dinge – Quanteneffekte – auf und fordern unsere Intuition heraus. Hier lassen sich physikalische Größen nicht mehr genau bestimmen und Teilchen können gleichzeitig Wellen sein. Der physikalische Aufbau der Materie, etwa die atomare Zusammensetzung, ist jedoch der gleiche, also muss nanoskopische Materie zwingend auch Bestandteil unserer „normalen“ Welt sein – auch wenn wir sie nicht begreifen können.
Zum Glück liegt es in der Natur von Wissenschaftlern, etwas partout verstehen zu wollen, gerade wenn es unlogisch zu sein scheint. Diese mutige Wissenschaft wurde für Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Ekimov dieses Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie belohnt. Durch Ihre Arbeiten haben sie die Quantenwelt gewissermaßen in unseren Alltag transferiert.
Kleinste Anwendungswunder
Selbst unsere Ahnen haben Quantenpunkte bereits genutzt, ohne von ihrer Existenz zu wissen: Buntes Glas in Kirchenfenstern, bekannt und verwendet seit Jahrhunderten, bezieht seine Farbe aus den Quanteneffekten kleinster Partikel, die dem Glas beigemischt werden. In der heutigen Zeit sind Quantenpunkte, auch im Deutschen als „quantum dots“ bezeichnet, wahre Multitalente in der Anwendung. Moderne Ultra-HD-Fernseher beispielsweise sind ohne Quantenpunkte nicht vorstellbar, denn diese optimieren die Hintergrundbeleuchtung, indem sie den Farbraum erweitern. Auch die Weiterentwicklung künftiger Displaytechnologien wird stark von der Erforschung von Quantenpunkten profitieren. Quantum dots können als effiziente Lichtemitter dienen und werden etwa in der Herstellung moderner Laserdioden verwendet. Auch in der Photovoltaik lassen sie sich einsetzen, um Sonnenlicht effizienter in elektrische Energie umzuwandeln und so dünnere Solarzellen zu ermöglichen. Die Biomedizin wiederum verwendet Quantenpunkte als Marker, um (krankes) Gewebe zu markieren – beispielsweise, um Tumore sichtbar zu machen und Chirurgen so in der Lage zu versetzen, carcinogenes Gewebe eindeutig von gesundem zu unterscheiden. Quantenpunkte können aber auch als Quantenbits (Qubits) dienen, die in der Quanten-Informationsverarbeitung verwendet werden. So können sie die Grundlage für die künftige Entwicklung von Quantencomputern und sicheren Quanten-Kommunikationssystemen bilden. Zu guter Letzt lassen sich Quantenpunkte als empfindliche Sensoren verwenden, um verschiedene physikalische oder chemische Größen zu messen. Auf diese Weise lassen sie sich zur Detektion von Molekülen, Gaskonzentrationen oder Temperaturänderungen einsetzen.
Ein Ende möglicher Anwendungen scheint bisher nicht in Sicht und das wirtschaftliche Potenzial der Quantenpunkte wird von kundigen Menschen als immens eingeschätzt. „Quantenpunkte bringen großen Nutzen für die Menschheit“, begründete das Nobelpreiskomitee seine Entscheidung. Doch was macht diese winzigen Partikel so besonders?
Quanteneffekte entstehen, wenn Teilchen schrumpfen
Zunächst einmal sind die quantum dots, für deren Entdeckung und Synthese Moungi G. Bawendi vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Louis E. Brus von der Columbia University in New York und Alexei I. Ekimov, ehemals bei Nanocrystals Technology Inc. in New York, mit dem Nobelpreis für Chemie 2023 ausgezeichnet wurden, lediglich Kristalle aus Halbleitern. Ein Halbleiter ist ein Stoff, der sowohl isolierend (bei tiefen Temperaturen) als auch leitend sein kann (bei hohen Temperaturen). Die Besonderheit der Quantenpunkte liegt in ihrer Größe: Es handelt sich um nanoskopische Kristalle von nur 2 bis 12 Nanometern. Selbst ein Coronavirus ist mit einer Größe von 120 bis 160 Nanometern zehnmal größer. Mit 10 Nanometern befinden wir uns im Bereich großer biologischer Moleküle wie beispielsweise Hämoglobin – der Radius vieler Atome ist mit ca. einem Angström (Å), 0,1 Nanometer, nur 100mal kleiner.
Diese Kleinheit der Kristalle führt dazu, dass die Beweglichkeit der Ladungsträger eines Quantenpunkts in allen drei Raumrichtungen eingeschränkt ist. Die Energie dieser Ladungsträger kann hierdurch nicht mehr beliebig kontinuierliche, sondern nur noch diskrete Werte annehmen, also Zahlen mit einer endlichen Anzahl Ziffern hinter dem Komma. Dadurch zeigen quantum dots Quanteneffekte, wie man sie auch bei einzelnen Atomen findet. Quantenpunkte bilden damit eine neue Klasse von Materialien, die weder molekular noch massiv ist. Sie haben zwar dieselbe Struktur und atomare Zusammensetzung wie herkömmliche Materialien, aber ihre Eigenschaften lassen sich durch einen einzigen Parameter steuern: der Größe der Partikel. Auf diese (in der Theorie) einfache Weise lassen sich nicht nur die optischen und elektronischen Eigenschaften der nanoskopischen Kristalle maßschneidern, sondern beispielsweise auch ihr Redoxpotential, ihre Schmelztemperatur oder Festkörper-Phasenübergänge.
Was haben die Nobelpreisträger genau herausgefunden?
Bereits vor längerer Zeit wurde in der theoretischen Physik postuliert, dass in Nanopartikeln größenabhängige Quanteneffekte auftreten. Es war aber lange Zeit unmöglich, solche Nanopartikel gezielt herzustellen. Ebenso unmöglich war daher eine praktische Anwendung mit vorhersagbaren Effekten.
Das sollte sich ändern, als Alexei Ekimov und Louis Brus Anfang der 1980er-Jahre – durch den Kalten Krieg bedingt unabhängig voneinander – in ihren Experimenten größenabhängige Quanteneffekte beobachteten. Dem in der Sowjetunion forschenden Ekimov, gelang es, durch Untersuchungen von gefärbtem Glas zu zeigen, dass dessen Farbe von der Größe der im Glas enthaltenen färbenden Partikel bedingt wurde. In den USA hatte Louis Brus zur gleichen Zeit an chemischen Reaktionen geforscht, die Sonnenlicht nutzbar machen sollten. Wie so oft kam hier der Zufall zu Hilfe, denn Brus stellte fest, dass die hierfür verwendeten Cadmiumsulfid-Lösungen ihre optischen Eigenschaften während längerer Standzeiten veränderten. Genauere Untersuchungen bestätigten, was auch Ekimov gefunden hatte: Die Größe der Partikel in der Lösung bestimmte ihre Farbe. Die Veränderung bei längerem Stehen wurde später durch die sogenannte Ostwald-Reifung erklärt, die Wilhelm Ostwald bereits im Jahr 1900 beschrieben hatte.
Brus hatte somit, ohne es zu beabsichtigen, Quantenpunkte hergestellt. Was jedoch weder Brus noch Ekimov vermochten, war, die Quantenpunkte gezielt in sehr hoher Qualität und mittels eines einfachen und günstigen Syntheseverfahrens herzustellen. Mit Moungi Bawendi ist dieser Türöffner in die Welt der alltäglichen Anwendungen schließlich einem ehemaligen Doktoranden von Brus gelungen. 1993 veröffentlichte er im Fachmagazin „Journal of the American Chemical Society“ ein verfeinertes Verfahren, mit dem er ganz gezielt nanokristalline Halbleiter in Größen zwischen gut einem und 11,5 Nanometern herstellen konnte. Dazu nutzte er metallorganische Verbindungen, die er in sehr heißes Lösungsmittel einspritzte, wodurch sich dieses schlagartig abkühlte. Der entscheidende Trick war nun ein langsames und kontrolliertes Wiedererwärmen der Lösung, wodurch die zuvor entstandenen Kristallkeime ebenso kontrolliert wie gleichmäßig zu wachsen begannen.
Die gewünschte Größe der Kristalle ließ sich einfach und gezielt über die Temperatur steuern und es entstanden die nahezu perfekten Quantenpunkte. Zusammen mit der Vorarbeit seiner beiden Kollegen war das der entscheidende Durchbruch, der den Stein, oder besser gesagt den Siegeszug, der Quantenpunkte ins Rollen brachte. Bis heute kommen jedes Jahr neue, zum Teil bahnbrechende Anwendungen dieser nanoskopischen Strukturen hinzu, die auf der Arbeit der drei Pioniere basieren. Nobelpreiswürdig, fand die Jury der Royal Swedish Academy of Sciences.
Quellen:
https://www.nobelprize.org/uploads/2023/10/advanced-chemistryprize2023-3.pdf
https://www.nobelprize.org/uploads/2023/10/popular-chemistryprize2023-3.pdf
https://www.spektrum.de/news/chemie-nobelpreis-2023-die-quantenpunkte-aus-der-zwischenwelt/2186634
https://www.deutschlandfunk.de/nobelpreis-chemie-2023-100.html