Ist der Rasenmäher kaputt?
13. Juli 2022
Neben CO2-Reduktion und natürlichem Kohlenstoffrecycling wird in Zukunft die technische CO2-Fixierung eine zentrale Maßnahme gegen die Erderwärmung darstellen. Könnten innovative Methoden wie die künstliche Photosynthese ihren Beitrag leisten? Wir erklären Idee und Entwicklungsstand dieser preisgekrönten Methode und wagen einen Blick in die Zukunft.
(K)Ein Ausweg aus unserem selbstgemachten Treibhaus?
Recycling ist – wenn die erforderlichen Prozesse effizient und nachhaltig sind – eine gute Sache, lassen sich auf diese Weise doch wertvolle Ressourcen sparen. Noch besser ist jedoch, die Abfallstoffe erst gar nicht entstehen zu lassen. Eine sinnvolle Kombination aus Recycling und dem Vermeiden von Abfällen ist meist der nachhaltigste Weg, will man knapper werdenden Ressourcen und zunehmender Umweltverschmutzung etwas entgegensetzen.
Wertstoffe wie beispielsweise Papier und Glas erreichen in Deutschland hohe Recyclingquoten. Bei Kunststoffabfällen sieht die Sache aber anders aus: Mehr als die Hälfte dieser Abfälle werden hierzulande verbrannt, weil ein Recycling nur eingeschränkt möglich oder ineffizient ist. Hier ist zusätzlich Vermeidung angesagt, will man diese Abfälle reduzieren.
Verbrennung bedeutet (zumindest aktuell) immer auch klimaschädliche Emission – in der Tragweite der Konsequenzen gewissermaßen DER Abfall der Menschheit. Seit Beginn der industriellen Revolution ist die Konzentration allein an Kohlendioxid (CO2) in der Luft um rund 40 bis 50 % angestiegen. Aller wissenschaftlichen Erkenntnis nach heizt diese Zunahme den Treibhauseffekt an und verändert das Klima. Die Konsequenzen sind bereits spürbar. Auch hier heißt die Devise: drastische Reduktion der Emissionen.
So verpflichten sich im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 derzeit 194 Staaten dazu, den weltweiten Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius, in jedem Fall aber deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Erreicht werden kann dies nur, wenn in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts maximal diejenige Menge klimaschädlicher Gase ausgestoßen wird, die der Atmosphäre durch sogenannte Kohlenstoffsenken (Wälder, Moore, Seegraswiesen) entzogen werden, also CO2-Neutralität erreicht wird. Die Staaten versuchen dies mit unterschiedlichen nationalen Programmen und Gesetzen umzusetzen. Ein wichtiger Baustein wäre dabei die ‚Decarbonisierung‘ der Wirtschaft, die jedoch ein Akzeptanzproblem hat und schwer durchsetzbar ist.
Reichen also die kleinen Schritte, die getan werden können? Verschiedene Experten gehen heute davon aus, dass nicht einmal das 2-Grad-Ziel mehr erreicht werden kann, wenn sich die gegenwärtigen, globalen Emissionstrends fortsetzen. Wenn wir also kaum verhindern können, dass weiterhin massiv CO2 in die Atmosphäre gepustet wird, können wir an dem anderen Hebel ansetzen und viel mehr CO2 aus der Luft recyceln?
Kohlenstoffrecycling – das Vorbild Natur übertreffen
Um die ökologische, aber auch soziale Herausforderung des Klimawandels zu meistern, „müssen wir also neue Wege finden, um das überschüssige CO2 nachhaltig aus der Luft zu entfernen und in etwas Nützliches umzuwandeln“, betont Tobias Erb, Direktor des Marburger Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie, und meint damit nichts anderes als Kohlenstoffrecycling.
Im Prinzip macht die Natur es vor, denn Pflanzen fixieren über die Photosynthese Kohlendioxid aus der Luft. Über einen schrittweisen Prozess, den Calvin-Zyklus, produzieren sie daraus Glucose für ihren Stoffwechsel sowie Sauerstoff, den fast alle Lebewesen zur Atmung benötigen. Theoretisch könnte man also versuchen, das Problem der Zunahme klimaschädlicher CO2-Konzentrationen in unserer Atmosphäre mit einer höheren land- und forstwirtschaftlichen Produktivität anzugehen: mehr Pflanzen – mehr CO2-Recycling! Problem: Das CO2-bindende Enzym des Calvin-Zyklus in Pflanzen, die Ribulose-1,5-bisphosphat-carboxylase/-oxygenase (kurz RuBisCo) arbeitet vergleichsweise langsam und fehlerhaft. Bei jeder fünften Reaktion erwischt RuBisCo statt CO2 ein Sauerstoffmolekül O2.
Allerdings hält die Natur im Stoffwechsel von Mikroorganismen CO2-fixierende Enzyme bereit, die deutlich schneller, genauer und effizienter arbeiten. In diesem „Fundus“ suchte der Biologe und Chemiker Erb gezielt nach Enzymen, die CO2 mit hoher Effizienz binden und das Gas zudem in andere nützliche organische Moleküle umwandeln.
Das Ziel: Aufbau eines synthetischen Calvin-Zyklus.
CETCH me if you can
Für seine Arbeiten, die den Weg zu einer nachhaltigeren Fixierung des Treibhausgases CO2 ebnen, wurde Tobias Erb inzwischen mehrfach mit hochdotierten Wissenschaftspreisen ausgezeichnet: unter anderem 2022 mit dem Merck Future Insight Preis und 2024 mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Für die Auszeichnungen haben Erb und sein Team allerdings auch eine Menge geleistet. Ein passendes zentrales Enzym war zwar zunächst schnell gefunden und aus einem Purpurbakterium isoliert worden: Die Crotonyl-CoA Carboxylase/Reductase (CCR). Dieses Enzym arbeitet nahezu fehlerfrei und 20-mal schneller als RuBisCo. Dann allerdings folgte echte Fleißarbeit. Um weitere Enzyme für einen vollständigen und technisch optimal nutzbaren synthetischen Calvin-Zyklus zu finden, screenten Erb und seine Kollegen am MPI für terrestrische Mikrobiologie mehr als 50 Millionen Gene und 40 000 Proteine aus internationalen Datenbanken. Am Ende blieben 17 Enzyme aus neun Organismen bis hin zum Menschen, darunter drei „Designer-Enzyme“, welche die Wissenschaftler aus natürlichen Enzymen entwickelt hatten und die nun genauer arbeiteten oder andere Reaktionen katalysierten. Diese Enzyme fügte das Team um Erb in nur zwei Jahren im Reagenzglas zu einem „robust funktionierenden, optimierten Zyklus“ zusammen. In Anlehnung an das zentrale, CO2-fixierende Enzym, nannte Erb das Ergebnis Crotonyl-CoA/Ethylmalonyl-CoA/Hydroxybutyryl-CoA-Zyklus.
Dieser, kurz CETCH-Zyklus genannte, synthetische Kreislauf ist in der Lage, mit derselben Lichtenergie wie sie die natürliche Photosynthese nutzt rund 20 Prozent mehr CO2 zu binden. Und die immense Screeningarbeit zahlt sich aus: In Erbs „Basismodell“ der künstlichen Photosynthese entsteht am Ende eine Verbindung namens Glyoxylsäure; der Kreislauf kann aber so verändert werden, dass sich stattdessen auch Rohstoffe für Biodiesel oder andere organische Stoffe bilden lassen.
Der entscheidende Schritt heraus aus dem Reagenzglas
Der eigentliche Durchbruch gelang jedoch erst, als die Forschenden die künstliche Photosynthese aus den Laborgläsern in lebende Zellen des Bakteriums Escherichia coli übertragen konnten. Denn was in vitro funktioniert muss noch lange nicht in vivo, im lebenden Organismus, klappen, wo Tausende Gene und Proteine „mitmischen“ und den Prozess beeinflussen können.
Die Forschenden haben zunächst alle jene Gene, welche die Enzyme des CETCH-Zyklus kodieren, in E.coli eingeschleust. Als Marker, also um zu beweisen, dass sich CO2 tatsächlich per künstlicher Photosynthese zu größeren Molekülen weiterverarbeiten lässt, haben sie ferner Enzyme eingebaut, die das recht große Molekül Succinyl-CoA herstellen. Wie sich letztlich zeigte, lief in E. coli tatsächlich der gesamte Kreislauf von der CO2-Aufnahme bis zur Succinyl-CoA-Produktion fehlerfrei ab. Zwar kann das Bakterium keine Energie aus Sonnenlicht gewinnen und muss – anders als Pflanzen – zusätzlich mit Kohlehydraten versorgt werden. Dennoch war der Beweis erbracht, dass sich ein kompletter künstlicher Stoffwechselweg zur CO2-Fixierung in eine lebende Zelle einbauen lässt.
E.coli diente hier als Modellorganismus. Das längerfristige Ziel der Forschenden ist es, den künstlichen Kreislauf, wieder auf Pflanzenzellen zu übertragen, um so nicht nur effizientere CO2-Senken zu erzeugen, sondern auch Substanzen für die chemische Industrie direkt und ohne technischen Aufwand synthetisieren zu können – mittels Sonnenenergie und Kohlendioxid aus der Luft.
Förderung von CO2 als Ressource
Ein Thema mit Potenzial – das erkannten Forschung wie auch Politik: 2022 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zum Thema „CO2 als Ressource“ die Fördermaßnahme „Klimaneutrale Produkte durch Biotechnologie – CO2 und C1-Verbindungen als nachhaltige Rohstoffe für die industrielle Bioökonomie (CO2BioTech)“ aufgesetzt. „Kürzlich sind im Rahmen von CO2BioTech zehn Verbundprojekte zu biotechnologischen Verfahren in der chemischen Industrie gestartet“, sagte Enrico Barsch, Referent im Bioökonomie-Referat des BMBF, anlässlich der Biotechnologietage 2024 in Berlin.
Vier dieser Projekte wurden dort vorgestellt, eines davon von Erb selbst: Da der erste CETCH-Prototyp noch nicht effizient genug arbeitete, habe man den künstlichen Zyklus optimiert und die Synthese im Labor hochgradig automatisiert, miniaturisiert und digitalisiert. Die Effizienz ließ sich so bereits deutlich steigern. „Mit dem CETCH-Zyklus haben wir ein Betriebssystem gebaut – nun erproben wir verschiedene Wege der Anwendung“, sagte Erb in seinem Vortrag. Das reiche vom Einsetzen des Stoffwechselwegs in natürliche Algenzellen bis hin zur Konstruktion von künstlichen Zellen in Form von Mikrofluidik-Tröpfchen. „Wir haben auf diese Weise künstliche Chloroplasten gebaut, die durch Licht angetrieben werden“.
Im CO2BioTech-Verbund eCO2DIS sollen nun Ansätze der Synthetischen Biologie, Bioelektrokatalyse und Polymerchemie zusammengeführt werden. Mittels eines synthetischen Acetyl-CoA-Reaktionswegs will der Verbund wertvolle chemische Verbindungen direkt aus CO2 synthetisieren.
Wege zur klimaneutralen Industrie
Auch die Forschung auf dem Weg zu einer CO2-neutralen Industrie nimmt Fahrt auf. Neben Erbs Team arbeiten weitere Forschungsgruppen an der Entwicklung CO2-bindender Systeme für eine direkte Einbindung in industrielle Prozesse – auf der Basis hochinnovativer Ideen.
Ein Team um Volker Sieber vom Campus Straubing der Technischen Universität München beispielsweise hat es sich zum Ziel gesetzt, zunächst CO2 und Wasserstoff in Methanol umzuwandeln und dieses als Rohstoff für Fermentationen oder enzymatische Umsetzungen zu nutzen. Über eine zellfreie Enzymkaskade soll beispielsweise aus Methanol die Aminosäure L-Alanin entstehen, das unter anderem zur parenteralen Ernährung und in Diätetika eingesetzt. Im CO2BioTech-Projekt Pythagoras entwickelt Siebers Team die enzymatische Aminosäureproduktion aus durch Windenergie gewonnenem grünem Methanol weiter und möchte sie auf ein industriell relevantes Niveau heben.
Ulf-Peter Apfel von der Ruhr-Universität Bochum will für das CO2-Recycling Biologie und Chemie kombinieren und nutzt dafür sogenannte Power-to-Methane-Systeme. Gemeinsam mit seinem Team hat er dazu ein bioelektrochemisches System entwickelt, das die Speicherung von erneuerbarer elektrischer Energie in Form von Methan ermöglicht. Im Verbundprojekt BEFuel soll ein kombiniertes bioelektrochemisches Verfahren zur stofflichen Nutzung von CO2-haltigen Abgasen entwickelt werden. Es soll insbesondere die Produktion hochwertiger Säuren und Alkohole erlauben.
Und auch der Chemiekonzern BASF hat das Potenzial erkannt und kooperiert bei der Nutzung von CO2 durch Bakterien bereits mit dem Biotech-Unternehmen Lanzatec, um mittels Gasfermentation Produkte wie n-Octanol herzustellen, die unter anderem in der Kosmetik eingesetzt werden. Außerdem stellte die Projektleiterin Barbara Navé auf den Biotechnologietagen die Aktivitäten des Konzerns im CO2BioTech-Verbund FUMBIO vor, in dem der Aufbau einer nachhaltigen Wertschöpfungskette zur biobasierten Produktion der Plattformchemikalie Fumarsäure im Fokus steht.
Ob genau diese Ansätze im Kampf gegen Treibhauseffekt und Klimawandel einen nennenswerten Unterschied machen werden, bleibt abzuwarten. Ganz sicher aber sind es Ideen von hoher Innovationskraft, die eines der drängendsten Themen unserer Zeit adressieren. Wir haben unsere Wälder abgeholzt, unsere Moore ausgetrocknet und unsere Seegraswiesen vergiftet – nun bleibt dem Homo sapiens noch ein kleines Zeitfenster, um zu zeigen, dass er diese Bezeichnung doch zu Recht trägt.
Quellen:
Mit künstlicher Fotosynthese gegen den Klimawandel
Hochkarätiger Preis für Marburger Max-Planck-Forscher
Leibniz-Preis für Marburger Bioingenieur
Künstliche Photosynthese: Der Schritt zum Leben | VolkswagenStiftung
Künstliche Photosynthese: Besser als grün | VolkswagenStiftung
Biotechnologietage 2024: Vielfalt für eine klimaneutrale Industrie