Mit DNA-Origami Viren in die Falle locken


Was hat die japanische Papierfaltkunst Origami mit der Bekämpfung von Viren zu tun? Tatsächlich nutzt die Wissenschaft eine spezielle Technik, um Moleküle zu dreidimensionalen Strukturen zusammenzufalten bzw. -zusetzen – eine Methode, die sich als ein nützliches Tool gegen Virusinfektionen erweisen könnte.

Insbesondere die COVID-19-Pandemie hat deutlich gemacht, dass wir neben Impfung und trivial erscheinenden Maßnahmen wie Abstandhalten und dem Tragen von FFP2-Masken kaum Abwehrmöglichkeiten gegen Viren in der Hinterhand haben. Während bei schädlichen Bakterien der Stoffwechsel dieser Erreger ein wichtiges Angriffsziel von Wirkstoffen ist, müssen sich Medikamente zur Virusbekämpfung auf spezifische Enzyme der jeweiligen Viren konzentrieren – diese zu identifizieren ist ein schwieriger und zeitaufwendiger Prozess. Eine Gruppe von Forschenden der Technischen Universität München (TUM) hat sich jedoch schon vor dem ersten Auftreten von SARS-CoV-2 mit neuen Möglichkeiten der Viren-Abwehr beschäftigt und bereits erste vielversprechende Ergebnisse vorgelegt. Ihr Ziel: Das so genannte DNA-Origami soll Virusinfektionen künftig wesentlich effektiver bekämpfen.

Wie funktioniert das DNA-Origami?

Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich beim DNA-Origami um ein biochemisches und biophysikalisches Verfahren, durch das sich zwei- oder dreidimensionale Strukturen auf Nanoebene herstellen lassen. Die Methode geht auf den Forscher Paul Rothemund vom California Institute of Technology zurück und nutzt das Aufbauprinzip der DNA-Doppelhelix. [1]

So wie sich bei der DNA die Einzelstränge während der Hybridisierung zusammenlagern, so lassen sich komplementäre DNA-Basen auch verwenden, um damit gezielt Nanostrukturen verschiedenster Formen aufzubauen. Dazu synthetisieren Wissenschaftler zunächst einen DNA-Einzelstrang mit einer entsprechenden Basensequenz. Dieser wird Gerüststrang (scaffold strand) genannt. Daran lagern Fragmente kleinerer DNA-Stränge an, die sogenannten Klammeroligonukleotide (staple strands), wodurch der Gerüststrang in seine Zielform gefaltet und vor allem fixiert wird. Diese Zielform wiederum interagiert durch ihre spezifische dreidimensionale Struktur und gezielte chemische Modifikationen mit anderen Molekülen und/oder Körpern und entfaltet hierdurch ihre Wirkung.

Ein Vorteil dieses Prinzips ist dabei, dass es sich um ein selbstorganisierendes System handelt: Die einzelnen Komponenten setzen sich in den richtigen Mischungsverhältnissen korrekt zusammen, ohne dass mehrere Reaktionsstufen mit ggf. unterschiedlichen Bedingungen notwendig sind. Lediglich die Temperatur dient als Steuerparameter, um das Zusammenfalten der Moleküle zu initiieren. Schon Rothemund hat als Vorreiter dieser Methode 2006 mit solchen selbstorganisierenden Prozessen verschiedene geometrische Nanostrukturen aus DNA-Molekülen realisiert, von Sternen über Smileys bis hin zu Tetraedern [1]. Prinzipiell können sich so auch molekulare Miniaturmaschinen bauen lassen, etwa für einen Wirkstofftransport in die Zelle und zur gezielten Therapie von Tumoren.

Virenfänger und andere mögliche Anwendungsbereiche des DNA-Origami

Ein Anwendungsbeispiel für selbstorganisierende DNA-Nanostrukturen haben Forschungsgruppen der TU-München und der Brandeis University in den USA präsentiert [2]: Sie entwickelten “Viren-Fallen” in Form von geometrischen Hohlkörpern. Diese ikosaedrischen, an Viruskapside angelehnten Körper setzen sich aus dreieckigen Untereinheiten zusammen und sind in ihrer Größe so gestaltet, dass sie ein Virion aufnehmen und einschließen können. Je nach spezifischem Design der durch DNA-Origami zusammengefalteten Dreiecke konstruierten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Hohlkörper mit Durchmessern von 40 bis zu 180 Nanometern. Die Innenseite dieser Schalen ist mit funktionalen Gruppen modifiziert, die an die Oberflächenmoleküle des zu fangenden Virions binden. So lassen sich zielgerichtet bestimmte Virionen in den Kapseln einschließen und neutralisieren, wie Tests mit Adeno-assoziierten Viren und Hepatitis-B-Virus-Kernen in Mäuseserum belegen [3]. Zur Stabilisierung der dreidimensionalen Struktur der Hohlkörper behandelten die Forschenden sie mit UV-Bestrahlung und beschichteten sie mit einem Netzwerk aus Oligolysin und Polyethylenglykol. Auf diese Weise blieben die Virusfallen im Experiment unter in vivo-ähnlichen Bedingungen bis zu 48 Stunden intakt [4].

Hier zeigt sich ein weiterer Vorteil der Origami-Körper, die auch an neu auftretende Viren schnell adaptierbar sind, da sich sowohl ihre Form und Größe als auch die spezifischen Bindungsmoleküle im Innern der Kapseln flexibel anpassen lassen. Aus dem Wissenschaftsteam der TUM ist unter Leitung von Dr. Christian Sigl bereits ein eigenes Start-Up Unternehmen hervorgegangen, das sich diese Eigenschaft zu Nutze macht. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen bei Capsitec entwickelt er ein Breitband-Virostatikum auf Basis von DNA-Origami, wozu bereits erste in vivo-Studien im Mausmodell durchgeführt, aber noch nicht veröffentlicht wurden [5]. Bis die Methode beim Menschen eingesetzt werden kann, sind zwar noch umfangreiche Analysen und die inzwischen gut bekannten klinischen Studien notwendig, das Start-Up verdeutlicht aber, welches Potenzial der Technologie innewohnt.
Neben Anwendungen in der Medizin als Viren-Falle oder Wirkstoffträger kann auch die Computertechnologie von DNA-Origami profitieren. Schon 2009 demonstrierte Rothmund in Zusammenarbeit mit der International Business Machines Corporation (IBM), dass sich DNA-Origami-Strukturen als Schablone für Ätzmuster in anorganischen Substraten wie Siliziumdioxid eignen. Die Kombination von DNA-Origami und Lithografie hat es so ermöglicht, hochgeordnete Computerchips im Nanomaßstab herzustellen [6].

Und auch für die Grundlagenforschung ergeben sich neue Möglichkeiten, etwa durch künstliche Zellstrukturen aus DNA. So wurden bereits feste Nanoporen und zusammengesetzte DNA-Nanoporenkanäle mithilfe von DNA-Origami konstruiert und zur Erforschung von Transportmechanismen in Biomembranen genutzt [6].

In welchen Feldern sich die selbstorganisierenden DNA-Strukturen zukünftig durchsetzen werden, muss sich zeigen. Hier wird besonders die Weiterentwicklung der Computeralgorithmen entscheidend sein, die zur Berechnung der Strukturen und notwendigen DNA-Stränge eingesetzt werden. Maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz könnten noch komplexere Formen realisierbar machen als bisher und damit das DNA-Origami auf ein neues Level heben.

Quellen:

[1] Rothemund, P. Folding DNA to create nanoscale shapes and patterns. Nature 440, 297–302 (2006); DOI: 10.1038/nature04586
https://www.nature.com/articles/nature04586

[2] Sigl, C., Willner, E.M., Engelen, W. et al. Programmable icosahedral shell system for virus trapping. Nat. Mater. 20, 1281–1289 (2021); DOI: 10.1038/s41563-021-01020-4
https://www.nature.com/articles/s41563-021-01020-4

[3] Sigl, C., Dietz, H. Nanoschalen aus DNA fangen und neutralisieren Viren. Biospektrum 28, 165–167 (2022); DOI: 10.1007/s12268-022-1729-2
https://link.springer.com/article/10.1007/s12268-022-1729-2

[4] Alba Monferrer et al.: „DNA origami traps for large viruses“, Cell Reports Physical Science, Volume 4, Issue 1, January 18, 2023; DOI: 10.1016/j.xcrp.2022.101237
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S266638642200563X

[5] Katharina Menne: Nanomaschinen aus dem Steckbaukasten, spektrum.de, 23. Mai 2023
https://www.spektrum.de/news/dna-origami-nanomaschinen-aus-dem-steckbaukasten/2141034

[6] Liu W, Duan H, Zhang D, Zhang X, Luo Q, Xie T, Yan H, Peng L, Hu Y, Liang L, Zhao G, Xie Z, Hu J. Concepts and Application of DNA Origami and DNA Self-Assembly: A Systematic Review. Appl Bionics Biomech. 2021 Nov 16;2021; DOI: 10.1155/2021/9112407
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8610680/

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